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Montag, 4. März 2013

Eigentor?! 4



Kapitel 3: Licht und Schatten


Johannes und Raphael waren mehr als erleichtert, denn leider war es trotz eindeutiger Position des Deutschen Fußballbundes DFB, mit Sitz in Frankfurt am Main, bis heute für schwule Fußballer immer noch nicht selbstverständlich, ihrer Neigung entsprechend offen Leben zu können. Wenn man sich mal richtig gezielt umschaute, war bei den ‚Spielerfrauen‘, auf den Ehrentribünen in den Stadien der Profivereine, doch garantiert die Eine oder Andere nur dazu da um den schönen Schein zu wahren. Aber darüber wollten die beiden Sechzehnjährigen im Augenblick nicht nachdenken.

Sie würden trotz des positiven Zuspruchs durch die Mannschaft trotz allem niemals auf die Idee kommen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor ihnen Händchen zu halten oder rumzuknutschen. Weil so etwas zu Recht den Unmut der Teamkameraden wecken könnte, denn schlussendlich hatten die anderen Spieler ihre Freundinnen ja auch nicht ständig griffbereit, während sie auf dem Platz standen, beziehungsweise vor, während des Spiels in der Halbzeit und danach in der Kabine waren oder gemeinsam duschten. Im Volksmund heißt es ja nicht umsonst: ‚Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.‘

*****

Doch wo Licht ist, da gibt es leider auch Schatten. Und dieser betrat den Saal, kurz nachdem Malte die vor Beginn des morgigen Pokalspiels zu verlesende Erklärung an die Zuschauer, den Vertretern der lokalen Medien vorgestellt hatte, in Form seines Stiefvaters, der wutschnaubend nach vorne eilte, sich vor dem rothaarigen Teenager aufbaute und diesem eine schallende Ohrfeige verpasste.

„Die ist dafür, dass du Björn süchtig gemacht hast! Du kannst ab heute zusehen, wo du schläfst, in meinem Haus jedenfalls nicht mehr!“

Was war überhaupt passiert, dass der stark nach Alkohol riechende Erziehungsberechtigte vor Zeugen dermaßen drastisch reagierte? Wir erinnern uns kurz an den Vormittag:

Johannes, Raphael und Ergün waren Zeugen eines von Malte lautstark und energisch geführten Telefonats, in welchem es unter anderem auch darum ging, dass die Polizei in seinem Büro in der Verkaufshalle stand, nach dessen Beendung der Jugendliche ihnen berichtete, was bei ihm daheim los ist, weil sein Stiefvater Werner Henseleit den eigenen Sohn ständig bevorzugt behandelte, sodass dieser wirklich machen konnte, was er wollte ohne, wenn er Mist baute, dafür gradestehen zu müssen.

Der Autohändler und KFZ-Meister hatte sich wenig später unter Protest gebeugt und die Beamten zur Werkstatt geführt, wo sie Björn, in bekifftem Zustand vor der Halle antrafen, während er noch an einem Joint zog. In seinen Taschen fanden sich neben etwa 200 g Marihuana auch eine kleinere Menge Tabletten, die sich später, nach eingehender Untersuchung als Speed herausstellen sollten. Bei dem Versuch sich einer Festnahme, durch einen Sprung über einen Zaun zu entziehen, brach er sich das rechte Sprunggelenk und musste daraufhin in ein Krankenhaus verbracht werden. Auf dem Weg dorthin ‚gestand‘ er seinem Vater, der ihn begleitete, unter Tränen, dass er süchtig sei und nur aus Angst vor seinem jüngeren Stiefbruder, der ihn unter Gewaltandrohung dazu gezwungen hätte, mit Drogen handeln würde. Damit hatte er seinen Erzeuger natürlich wieder einmal weich gekocht.

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Entsetzt sprang Malte auf und wollte zurückschlagen, konnte Johannes und Raphael aber gerade noch abgehalten werden. Hier bestand dringender Handlungsbedarf deshalb riefen die Coaches auch Ergün zu sich nach vorne. Werner Henseleit war so stark angetrunken, dass es an ein Wunder grenzte, das er es überhaupt geschafft hatte, bis hierher zu kommen. Die Frage war jetzt nur, wie er dies vollbracht hatte. Jo flüsterte dem gleichaltrigen Mannschaftskameraden etwas ins Ohr, dieser nickte nur und verschwand dann aus dem Saal. Was hatte er dem jungen Türken gesagt? Warum war er direkt aus dem Saal gerannt?

„Bleib ganz ruhig, wird sind bei dir, das klären wir anders“, flüsterte Raffi derweil dem rothaarigen Freund ins Ohr. Doch diesmal war es wirklich zu viel für den neuen Mannschaftskapitän, er seine Augen füllten sich mit Tränen, seine Umgebung nahm er nur noch verschwommen wir durch einen Schleier wahr, dann sank er heulend auf seinen Platz zurück. Er war völlig fertig, wieder einmal hatte sein Stiefbruder Lügen über ihn erzählt und erneut hatte sein Stiefvater dem eigenen Sohn mehr geglaubt als ihm. Der hatte übrigens ebenfalls Klappmesser gespielt und saß vor sich hin wimmernd am Boden.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren ich möchte Sie bitten, sich mit unserer Mannschaft und mir einen Raum weiter zu begeben, wo zwischenzeitlich ein kleiner Imbiss und Getränke für Sie vorbereitet wurden. Wie Sie mitbekommen haben, gibt es hier scheinbar einige Dinge zu klären, bei denen Ihre Anwesenheit nicht erforderlich ist“, forderte Vereinspräsident Zabel die Anwesenden geistesgegenwärtig auf, den Saal zu verlassen, die der Einladung auch ruhig folgten. ‚Bloß gut das hier kein Kamerateam von SAT 1 oder RTL anwesend war, die hätten in dieser Situation gnadenlos draufgehalten‘, dachte der Präsi noch als er, als Letzter gehend, die Saaltür hinter sich schloss.

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„Basti, hilfst du dem da bitte mal auf einen der freigewordenen Stühle und achtest dann bitte darauf, dass er alles genau mitbekommt?“, zeigte Jo mit einer Wischbewegung auf den immer noch am Boden hockenden Autohändler, als Ergün Özil den Saal wieder betrat und dem schwarzhaarigen Teenager zunickte. „Henseleit -- Henseleit -- Henseleit!“, begann er kopfschüttelnd, „Ich mag ja erst sechzehn sein, aber als Sohn eines Polizeibeamten, habe ich doch so einiges mitbekommen.“ Johannes hatte Ergün vorhin gebeten, einmal nachzusehen ob Maltes Stiefvater in seinem Zustand mit dem eigenen Auto gekommen war. Als Özil bei seiner Rückkehr nickte, wusste er, wie er weiter verfahren konnte und dies machte er mit der folgenden Bitte auch unmissverständlich klar. „Schauen wir doch mal was wir hier haben“, begann er seine Aufzählung. „Autofahren in stark alkoholisiertem Zustand, ich tippe mal auf mindestens 1,5 Promille, aber das wird sich halt erst durch Alkoholtest und Blutprobe genau feststellen lassen.“ Langsam kam wieder so etwas Ähnliches wie Leben in den Körper des angesprochenen Endvierzigers. „Tätlicher und verbaler Angriff auf einen Schutzbefohlenen -- ihren Stiefsohn Malte Gruber und dies vor Zeugen. Da wir die Räumlichkeiten für unsere Mannschaftsbesprechung und eine Pressekonferenz gemietet haben, üben wir in diesem Augenblick auch ein Hausrecht aus. Sie hatten keine Einladung und haben sich somit widerrechtlich Zutritt verschafft“, listete der Grünäugige weiter auf. „Was meinst du Basti, reicht das als Motivationshilfe für die Freunde mit dem blaugrauen Partybus?“ Henseleits Gesichtszüge verfärbten sich nach dieser Frage zusehends und er litt deutlich an Schnappatmung.

„Doch, ja, das sollte reichen, ich hab mein Handy leider nicht dabei. Ergün -- erledigst du das bitte und rufst die 110?“

„Nein -- keine -- Pohlißei“, nuschelte der betrunkene Familienvater.

„Ich geh dann mal kurz vor die Tür zum Telen, sonst muss ich heute noch in die Ausnüchterungszelle, der stinkt ja wie ‘ne ganze Brauerei“, sonderte der Halbtürke trocken ab und suchte kurz das Weite.

„Nein -- bidde, keine -- Pohlißei“, winselte Henseleit beinahe flehend.

„Tja sorry Werner, dafür ist es jetzt wohl zu spät. Unglaublich, dass ich dich und Björn Anfangs von Herzen lieb gehabt habe. Du hast heute den Falschen geschlagen und Björn wieder einmal mehr geglaubt als mir. Aber darüber wirst du heute Nacht noch genug Gelegenheit haben nachzudenken, sobald sich die Tür der Ausnüchterungszelle hinter dir geschlossen hat.“ Malte war wieder gefasster, als noch vor ein paar Minuten. Sich von guten Freunden umgeben zu wissen, die zu ihm hielten, tat seiner Seele gut und diesmal war er sich auch sicher, dass die Probleme nicht so einfach mit einer Geldspende aus der Welt geschafft werden könnten. Diesmal, so hoffte der sechzehnjährige Gymnasiast zumindest -- würde es einen satten Freizeitentzug für Björn hageln.

Johannes Selders lag mit seiner Schätzung übrigens gar nicht so weit daneben. 2,0 Promille wurden als Blutalkoholwert später festgestellt und dieser bescherte dem Geschäftsmann eine Nacht im Hotel ‚Zur Schwedischen Gardine‘, nebst dem Entzug der Fahrerlaubnis.

*****

„Das war mal echt ein Scheißtag“, stellte Malte später am Abend gähnend fest, „bloß gut, dass Henning bei Oma und Opa ist und nix davon mitbekommen hat.“

„Ach jetzt hör auf darüber nachzudenken, das ist es nicht wert. Komm lieber unter die Bettdecke, hier ist es kuschlig warm“, sonderte Ergün Özil trocken ab. Er hatte Malte angeboten bis Sonntag bei ihm zu bleiben und seine Eltern hatten es erlaubt. Ein Angebot, welches dieser dankend angenommen hatte, hatte es den Vorteil, dass er nicht alleine mit seinen Gedanken war und Ergün freute sich darüber, den zugegeben süßen ‚Weichspüler‘ direkt neben sich liegen zu haben, seine Nähe und Wärme spüren zu dürfen, weshalb er wehmütig beschloss, die Situation nicht auszunutzen, um Annäherungsversuche zu starten.

‚Oh man, was ist bloß los mit mir? Warum habe ich plötzlich voll die Schmetterlinge im Bauch? Der Typ riecht aber auch fast schon unverschämt gut. Ich muss schnell an was anderes denken, sonst -- Mist zu spät, hoffentlich merkt Ergün nich‘, dass ich ‘nen Harten hab.‘

*****

Ein paar Häuser weiter, lagen Raphael und Johannes ebenfalls noch wach. Eigentlich waren sie hundemüde, aber es war das erste Mal, dass sie gemeinsam in Raffis neuem Bett lagen. „Weißt Du, worauf ich jetzt Lust hätte?“, fragte der Blondschopf seinen Freund grinsend.

„Ich doch auch Schatz -- aber dieser ganz Mist der letzten beiden Tage geht mir einfach nicht aus dem Kopf“, antwortete der Schwarzhaarige angespannt. „Und dann noch morgen diese Aktion vor dem Spiel gegen Osnabrück irgendwie hab ich da Bammel, dass der Schuss nach hinten losgeht und wir uns damit ein gewaltiges Eigentor schießen.“

„Ach Hase überleg doch mal -- die Aktion ist klasse, da haben sich unsre Jungs was richtig tolles einfallen lassen. Wenn wir das wie besprochen durchziehen, das könnte Schule machen -- bis ganz oben in die Nationalmannschaft“, hielt Jo dagegen und massierte seinem Freund, mit kreisenden Bewegungen den Rücken.

„Hmmm, das ist schön“, murmelte der schwarzhaarige Teenager, „das machst du richtig gut.“

*****

 „Baby, Baby, Baby uuh -“

Es war ungefähr 0:30 Uhr, als Mister Bieber zu singen begann und Ergüns Kennung auf dem Display von Johannes‘ Handy erschien. Jo und Raffi blickten sich erstaunt an, denn der Halbtürke war eigentlich nicht der Typ, der seine Freunde mitten in der Nacht störte.

„Da stimmt was nicht“, schlussfolgerten die Jugendlichen gleichzeitig, bevor der Schwarzhaarige das Gespräch hektisch annahm und sein Smartphone auf mithören stellte: „Björn ist aus der Klinik abgehauen --“

Raffi und Jo waren kurz vorm Einschlafen gewesen, aber jetzt wieder hellwach. „Was sagst du da Ergün? Björn ist aus der Klinik abgehauen?“

„Wie geht das denn, der is‘ doch am Sprunggelenk verletzt. Und außerdem dachte ich, die passen da auf“, schob Raphael hinterher.

„Wir wissen doch selbst nichts Genaueres“, brümmelte Ergün weiter, „jedenfalls steht Malte voll neben sich und zittert wie Espenlaub. Können wir bitte bei Euch mit übernachten?“

„Klar, das geht schon irgendwie, zieht euch was an und kommt rüber, aber ihr müsst euch die Schlafcouch teilen“, antwortete Jo, nachdem Raffi und er sich kurz abgesprochen hatten. Warum musste das ausgerechnet heute passieren, wenige Stunden vor dem großen Pokalspiel? Sie hatten gegen die VFLer, welche eine Klasse über ihnen kickten und Spieler in ihren Reihen hatten, die sogar schon mal bei der ersten Mannschaft aushelfen durften, trotz ihrer eigenen guten Leistungen nur eine Außenseiterchance. Wenn sie also nicht bald mal wenigstens eine Mütze voll Schlaf bekämen, würde diese Chance auf null Prozent sinken.

*****

Malte sah schlecht aus, Angst und Müdigkeit hatten sich deutlich in sein Gesicht gegraben und ihre Spuren bei dem Rothaarigen hinterlassen. Auch wenn mittlerweile sicher war, dass sich sein Stiefbruder definitiv nicht in der friesischen Kreisstadt aufhielt, so war jedoch nicht gänzlich auszuschließen, dass Björn nicht doch vor dem großen Spiel gegen den VFL hier aufkreuzen würde. Sicher an Kraft und Schnelligkeit war er seinem Stiefbruder überlegen, außerdem waren sie zu viert. Somit würden sie sich schon gegen ihn verteidigen können, solange er nicht bewaffnet wäre.

„D – d – danke, das wir hier bleiben dürfen über Nacht“, stotterte Malte aufgelöst vor sich hin, als sie später zu viert in Raffis Zimmer saßen.

„Schon okay – und jetzt versuch zumindest an was Schönes zu denken, wir sind hier auf jeden Fall sicher, sollte Björn so blöd sein hier oder morgen beim Spiel aufzutauchen, wird er direkt hoppgenommen“, versuchten Raphael und Johannes den gleichaltrigen Freund zu beruhigen. Draußen auf der anderen Straßenseite stand ein Fahrzeug der Zivilstreife und beobachtete sowohl das Haus als auch die nähere Umgebung. Und auch sonst waren in der Kreisstadt mehrere blaugraue Fahrzeuge unterwegs und somit in Bereitschaft, um im Ernstfall schnell zugreifen zu können. Selbst Ergün und Malte waren vorhin direkt, nachdem sie das Haus verlassen hatten von den beiden Beamten in Zivil, kontrolliert und dann zum Haus der Familie Senner begleitet worden.

„Genau Sü…, äh Malte, denk lieber an was Schönes“, korrigierte sich der Halbtürke schnell und hoffte, dass es niemand mitbekommen hatte. Mit diesem Versprecher gab er seinen Kumpels allerdings eine Steilvorlage, die sie sich als gute Fußballer natürlich nicht entgehen lassen konnten.

„Du hast Malte jetzt nicht wirklich beinahe Süßer genannt oder?“, nahmen Raffi und Jo diesen traumhaften Volleyschuss auf und taten dabei ganz so, als hätten sie sich verhört.

„Öhm genau Ergün, was wolltest du ursprünglich sagen?“, spielte auch der sechzehnjährige Rotschopf den Ball ebenfalls leichtfüßig zu seinem Mannschaftskameraden zurück. Dieser versuchte allerdings gerade ganz angestrengt, mit hochrotem Kopf, Löcher in den Fußboden unter ihm zu starren.

„Hab mich halt in Malte verliebt“, brümmelte sich Ergün leise in den nicht vorhandenen Bart. „Ach Mensch is‘ doch alles Scheiße außerdem will ich jetzt langsam mal pennen“, grantelte er vor sich hin und versuchte dem Blick seiner drei Freunde, die ihn zu durchlöchern schienen, irgendwie Stand zu halten.

„Genau lasst uns endlich hinlegen, die Nacht wird ja nicht länger, bloß weil wir hier sitzen bleiben“, stellte Malte herzhaft gähnend fest, streckte sich dabei, legte Ergün einen Arm um die Schulter und flüsterte diesem dann ins Ohr: „Und hör auf zu granteln Süßer, ich bin nämlich auch in dich verknallt.“ Der Sechzehnjährige wusste selbst nicht genau, warum er das ausgerechnet jetzt gesagt hatte, aber er fühlte sich überraschend gut damit.

Ergün blickte Malte nach dessen Geständnis aus großen braunen Augen an. Hatte er das jetzt wirklich richtig verstanden? Hatte der rothaarige Teenager ihm wirklich gerade seine Liebe gestanden? Am liebsten würde er seinen Mannschaftskameraden jetzt in die Arme schließen und ihn küssen. Aber was, wenn er sich doch nur verhört hatte, wenn er das nur gehört hatte, weil er es gerne aus dem Mund seines Nebenmannes hören wollte?

Johannes saß mittlerweile bei Raffi auf dem Schoß, den beiden genau gegenüber auf einem Sessel, sie beobachteten ihre Freunde und dachten sich ihren Teil. Denn so viel war ihnen bereits klar geworden, Amors Pfeil hatte den beiden mitten ins Herz getroffen, daran bestanden keinerlei Zweifel mehr, wenn man das Verhalten von Malte und Ergün beobachtete.

Die Luft im Zimmer knisterte förmlich und es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis Malte und Ergün sich endlich küssen würden. Die Blicke, welche sie einander seit Minuten zuwarfen, die schüchternen Versuche die Hand des jeweils anderen zu ergreifen, um sie zu halten, der besondere Glanz in ihren Augen, dies alles sprach deutlich dafür, dass sich hier zwei Liebende gefunden hatten. Jetzt bedurfte es eigentlich nur noch einem winzigen Schupser, damit sie sich endlich nahe genug kamen, um sich zu küssen. Aber noch trauten sie sich nicht.

‚Wenn nicht jetzt, wann dann‘, dachten Johannes und Raphael sich, bevor sie ihre Augen schlossen und ihre Lippen und Zungen verliebt miteinander tanzen ließen. Ergün und Malte beobachteten dieses Spiel fasziniert. Aber nicht nur das, ihre Schmetterlinge im Bauch verursachten einen derartigen Tornado der Gefühle in ihnen, dass ihnen fast die Sinne schwanden. Minutenlang blickten sie sich stumm an und dann passierte es. Gleichzeitig schlossen sie ihre Augen, ihre Köpfe näherten sich einander immer mehr, bis sich ihre Lippen fanden, sich einander berührten und zum Kuss miteinander verschmolzen.

*****

Das Rauschen des Wassers und die fröhlichen Stimmen von Raphael und Johannes, die aus dem direkt angrenzenden Badezimmer zu ihnen ins Schlafzimmer drangen, waren es die Ergün und Malte, am nächsten Morgen gegen 11:00 Uhr, aus dem Reich der Träume in die Realität zurückholten. Beide sahen sich aus verschlafenen Augen an und blickten sich um, bevor Malte sich mit dem Oberkörper auf den des Freundes legte, um mit diesem verliebt schnäbelnd den neuen Tag zu begrüßen.

„Moin, Moin ihr Murmeltiere, das Badezimmer ist jetzt frei, aber beeilt euch bitte, unten in der Küche wartet ein tolles Frühstück auf euch.“ Raffi und Jo wirkten heute früh wie ausgewechselt und dies hatte seinen Grund nicht einzig darin, weil es in der vergangenen Nacht ruhig geblieben war. Sie waren schon länger wieder wach und hatten, während ihre beiden Mannschaftskameraden noch selig schliefen, bereits das nachgeholt, was sie eigentlich machen wollten, bevor sie durch den nächtlichen Anruf von Ergün unterbrochen wurden, als es gegen 10:00 Uhr leise an die Zimmertür klopfte und Raffis Bruder Torsten, Johannes und ihn kurz nach unten bat. Dort angekommen erwartete sie neben Jos Schwester Doreen und Raffis Eltern auch noch Johannes Vater.

„Eure Vernehmung – wegen der gegen euch erhobenen Vorwürfe, ist nicht mehr nötig. Verheugen ist gestern nochmals vernommen worden und hat, auf Anraten seines Anwalts, sämtliche Vorwürfe gegen euch zurückgezogen. Somit steht es euch jetzt frei, ob ihr trotzdem eine Aussage machen wollt.“ Na das waren doch Neuigkeiten, die Herr Selders da gebracht hatte. Damit war eine schwere Last von ihren jugendlichen Schultern genommen und sie konnten sich jetzt wirklich voll auf das Spiel gegen den VFL aus Osnabrück konzentrieren. Dennoch wollten die Jungs von ihrem guten Recht Gebrauch machen und gegen Verheugen aussagen. Mehr noch – denn jetzt wollten sie, nach dem Pokalspiel, auch ihre Teamkameraden davon überzeugen, gegen den ehemaligen Trainer auszupacken, damit auch seine zweifelhaften Methoden als Übungsleiter mit auf den Verhandlungstisch kommen würden.

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In der gesamten Kreisstadt gab es heute nur zwei Themen, die von der Bevölkerung heiß diskutiert wurden, das bevorstehende Pokalspiel und der aus dem Krankenhaus geflüchtete und seitdem wie vom Erdboden verschlungene A-Juniorenspieler Björn Henseleit. Nicht einmal seine eigenen Mannschaftskameraden ließen plötzlich auch nur ein gutes Haar an ihrem Mittelstürmer: „Wenn er nur halb so gut wäre, wie er beim Training immer tut, wären wir eine Spitzenmannschaft wie unsere B1.“

Schon alleine an dieser Aussage lässt sich erkennen, was die A-Junioren von ihrem Mannschaftskameraden hielten, der selbst die eigenen Mitspieler bei Trainingsspielen, in den vergangenen Monaten, immer wieder mit versteckten Fouls bedachte.

„Der muss ja echt Scheiße am Stiefel kleben haben – ich wette, der ist bei seinen neuen Freunden den Glatzen untergetaucht.“ Solche und ähnliche Sprüche waren es die in der friesischen Kreisstadt hinter vorgehaltener Hand, über Henseleit Junior, die Runde machten.

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Ab 12 Uhr mittags hätte man in der Innenstadt getrost den Ausnahmezustand ausrufen können, als neben der Gastmannschaft auch eine Gruppe von 30 mitgereisten Fans, die kaum, dass sie richtig angekommen waren, pöbelnd durch die Altstadt zog: „Euren Schwuchteln werden wir heute mal zeigen, wie richtig Fußball gespielt wird. Die Arschficker lassen wir Dreck fressen, bis sie nicht mehr wissen, wie sie überhaupt heißen.“

Die meist noch jugendlichen Anhänger der Osnabrücker waren bereits dafür bekannt, dass sie nicht nur mitreisten, um ihre Mannschaft zu unterstützen, sondern auch gerne mal die Fäuste fliegen ließen. Da war es gut gewesen, dass der Verein sich im Vorfeld entschlossen hatte, aufgrund des erhöhten Zuschauerinteresses, zusätzliche Ordnungs- und Sicherheitskräfte anzufordern.

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Als die Spieler der Heimmannschaft gegen 13 Uhr am Stadion eintrafen, wurden sie von einigen ihrer Anhänger wie Stars begrüßt und mussten sogar Autogramme schreiben.

„Wenn das so weitergeht, falle ich mit einer Sehnenscheidenentzündung aus“, scherzte der braunhaarige, 1,90 Meter große Schlussmann, Timo Eisenhauer grinsend, während sie alle ruhig auf allem unterschrieben was ihnen hingehalten wurde. Als sie dann zwanzig Minuten später endlich in den Innenbereich traten, fiel den Spielern sofort die Regenbogenfahne auf, die neben der des Vereins lustig im Wind wehte.

„Is‘ ja irre, wo haben sie die denn aufgetrieben?“, fragte Sergey in die Runde.

„Meine Schwester Doreen und Raffis Bruder Torsten engagieren sich als ehrenamtliche Helfer, für die Schwulesbische Jugend Oldenburg e. V.“, erklärte Johannes‘ seinen Mannschaftskameraden.

„Und 25 dieser Jugendlichen haben gestern spontan beschlossen hierher anzureisen, um uns heute unter dem Motto: ,Fußball ist alles – auch schwul!‘ zu unterstützen“, vervollständigte Raphael, bevor sie geschlossen in ihre Kabine marschierten, um sich dort umzuziehen und auf Sebastian Böhm zu warten, der wenig später ebenfalls eintraf.

„Moin Jungs, also wenn das mit dem Rummel um euch so weitergeht, werden wir für eure Heimspiele wohl bald ein kleines Stadion brauchen. Ich habe mitbekommen, dass heute mehr als 150 Zuschauer erwartet werden“, klärte Basti das Team auf, bevor es auf dem Flur vor der Kabine zu einem Tumult kam und wenig später die Tür aufgerissen wurde. „Henseleit – reicht es Ihnen nicht, dass Sie gestern die Pressekonferenz gestört haben?“

„Lass gut sein Basti, ich regele das jetzt auf meine Weise.“ Malte war jetzt richtig stinkig auf seinen Stiefvater, hatte es denn nicht gereicht, dass er ihn gestern im Schützenhof grenzenlos gedemütigt hatte? Mit freiem Oberkörper, weil er sein Trikot noch nicht angezogen hatte, sprang er vor, holte aus und verpasste dem viel zu überraschten Autohändler eine Maulschelle, die selbst die Wände zum wackeln gebracht hätte. „Die war dafür, was du mir gestern angetan hast und jetzt verlässt du die Kabine und lässt dich nicht wieder blicken, bevor die Partie zu Ende ist.“

„Aber –“

„Nichts aber, egal was du sagen willst, das kann warten bis nach dem Spiel!“, knatterte der sechzehnjährige Mannschaftskapitän und ballte drohend die Faust, woraufhin Henseleit Senior kurz zusammenzuckte und dann mit gesenktem Haupt die Kabine verließ. „Vier Jahre Frust – aber das gehört jetzt nicht hierher“, fasste Malte seine Reaktion, für die erstaunt dreinblickenden Mannschaftskameraden, in einem Satz zusammen.

„Recht hast du Malte – und ich glaube, hier ist niemand, der – nach dem was gestern passiert ist, anders reagiert hätte“, beruhigte Trainer Böhm, der in seinem eigenen Elternhaus ganz ähnliche Dinge erlebt hatte, den sechzehnjährigen Rotschopf.

Während die Kiebitze kurz drauf geschlossen auf den Platz gingen, um sich warmzumachen, hatte die Polizei in der Altstadt zugegriffen und zehn der auswärtigen ‚Fans‘ festgenommen, weil sie vier jugendliche Anhänger der Heimmannschaft in eine Seitenstraße gedrängt und dort verprügelt hatten. Wobei Laurin Peters, ein fünfzehnjähriger Halbasiate und Mittelfeldspieler in der B2 vom FSV, so schwer verletzt worden war, dass dieser mit zwei gebrochenen Rippen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

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Es war beinahe unglaublich: Während die Gastgeber in Traditionellem blau-weiß antretend und ihre lila-weißen Gegner vom VFL sich warmmachten, konnte man dabei zusehen, wie sie das Stadion am Schützenhof mit Zuschauern füllte. Schnell platzte die Steintribühne aus allen Nähten und die verbleibenden mussten sich einen Platz rund um das Spielfeld suchen. Mit 176 Zuschauern sollte später ein neuer Publikumsrekord verbucht werden können, welchen der Verein in seiner langjährigen Geschichte und hier speziell in der Jugendabteilung noch nie erreicht worden war.

„Achtet besonders auf den Spieler mit der Rückennummer 6. Der ist dafür bekannt, dass er seine Gegner im Kampf um den Ball auch gerne mit Fouls traktiert. Alleine in dieser Saison ist er schon zweimal mit Rot vom Platz gestellt worden. Die Abwehr gerät bei hohen Bällen ins Schwimmen, ihr habt ja gesehen, dass ihr im Schnitt mindestens fünf Zentimeter größer seid als die Osnabrücker“, gab Basti später als sie wieder in der Kabine waren, um auf den Spielbeginn warteten.

Die Osnabrücker spielten zwar zwei Klassen über ihnen, dennoch waren die Kiebitze davon überzeugt, auch dieser Mannschaft ein ebenbürtiger Gegner sein zu können. Normalerweise begannen die B-Junioren daheim gerne mit drei Spitzen, damit würden sie diesem Gegner allerdings unter Umständen ins offene Messer laufen. Deshalb hatten Johannes und Raphael beschlossen, in der ersten Halbzeit draußen zu bleiben und lieber mit einer gestärkten Fünferabwehr zu beginnen und Malte als einziger Spitze aus dem Mittelfeld heraus zu beginnen. Sollten die Gegner, sich in der ersten Halbzeit ruhig müde stürmen.

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Dann war es soweit, der Schiedsrichter klopfte an die Kabinentüren und die Mannschaften wurden aufs Spielfeld gebeten. Die Spieler beider Teams wurden von den Zuschauern, die sich die Wartezeit bei milden winterlichen Temperaturen, mit friedlichen Fangesängen bei Laune gehalten hatten, begrüßt und man nahm auf dem Spielfeld Aufstellung für erste Pressefotos. Die Stimmung war, gut bis Malte das vorbereitete Statement verlas:

„Wir die Spieler der B1 Junioren des FSV, eine Mannschaft bestehend aus vielen Nationalitäten und Hautfarben, wenden uns heute an Sie, um zu erklären, das wir entschieden gegen Rassismus, Mobbing und jede Form der Gewalt und Verfolgung sind … bei uns spielen Juden, Christen und Moslems, Heterosexuelle und auch Homosexuelle.“    Genau an der Stelle, mit den Homosexuellen Spielern, drudelten einigen der Osnabrücker Spielern sichtbar die Kinnladen herunter und aus den Reihen ihrer mitgereisten Fans, begann ein Pfeifkonzert. Dennoch las der Mannschaftskapitän unbeirrt bis zum Ende:   

„Es ist uns egal, woran jemand glaubt oder wie er liebt. Wir sind und bleiben trotzdem, wie es ein großer deutscher Nationaltrainer mal nannte: ELF FREUNDE! Und deshalb sagen wir ganz entschieden NEIN zu Fremden- oder Schwulenhass.“

Die Stimmung innerhalb der Gastmannschaft war jetzt deutlich unter den Gefrierpunkt gesunken. Sie sollten gegen schwule Fußballer spielen? Da könnte man sie ja gleich gegen eine Mädchenmannschaft antreten lassen. Sie verließen geschlossen das Spielfeld Richtung Kabine und der VFL-Trainer führte eine lautstarke Diskussion, mit dem Schiedsrichter und dessen Assistenten. Zehn Minuten lang wechselte ein Argument das andere und als dem gegnerischen Trainer am Ende Spielverlust und damit das Ausscheiden im Pokal angedroht wurde, gab er mit zorngeschwollenen Adern klein bei und holte seine Mannschaft aufs Spielfeld zurück.  

*****

Fair Play geht anders, dass was die VFLer den Zuschauern in den ersten 30 Minuten der Partie boten, glich eher einem Gemetzel, als einem normalen Fußballspiel. Doch egal was die Osnabrücker auch versuchten, die FSVer hielten mit sportlich fairen Mitteln dagegen. Und nicht allein, dass sie ihre Gegner nicht zum erfolgreichen Abschluss kommen ließen, sie kamen mit jeder Minute besser ins Spiel, fanden die Lücken in der gegnerischen Abwehr und scheiterten bis dahin lediglich zweimal am Schlussmann der Osnabrücker, der mit seiner Leistung einen frühen Führungstreffer durch die Heimmannschaft mit knapper Not verhindern konnte. Ihm gegenüber stand ein Timo Eisenhauer im Kasten, der alles hielt, was auf sein Gehäuse kam.

So stand es bis zur 39. Spielminute 0:0 obwohl die Kiebitze den Führungstreffer längst verdient gehabt hätten, als Malte in der letzten Minute der ersten Hälfte frei bis in den Strafraum der Osnabrücker kam, nur noch durch eine Notbremse, des Sechsers im lila-weißen Trikot, am Einschuss gehindert werden konnte und verletzt liegen blieb. Die Schiedsrichterentscheidung war eindeutig, Rot gegen Ali Ben Yussuf und Elfmeter für die Gastgeber. Die Stimmung im Publikum war extrem aufgeheizt und der lila-weiße Sechser wurde mit Pfiffen und Schmährufen zum Duschen geschickt.

Nach fünfminütiger Unterbrechung, für den verletzten Kapitän Malte Gruber war jetzt Johannes Selders ins Spiel gekommen und hatte auch die Spielführerbinde übernommen, konnte der Strafstoß endlich ausgeführt werden. Johannes galt als sicherer Elfmeterschütze im Team, er legte das runde Leder auf dem Punkt zurecht, nahm Anlauf, schickte den gegnerischen Schlussmann in die falsche Ecke und versenkte die Kirsche sicher – zum 1:0 für den FSV im unteren linken Eck.

*****

Trotz der Führung, hatte der Pausentee, in der friesischen Kabine, einen bitteren Beigeschmack für die B – Junioren den FSV. Nicht nur, dass Malte zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht werden musste, mittlerweile war auch bekannt geworden, was dem fünfzehnjährigen Laurin Peters in der Altstadt zugestoßen war. Die Jungs kannten den mit 1,52 Meter recht kleinen Allrounder der B2, sie hatten ihn in der laufenden Spielzeit zweimal ausgeliehen, als Bartek an Grippe erkrankt war.

„Lasst uns das Spiel heute für Malte und Laurin gewinnen“, schlug Bartek seinen Kameraden deshalb vor, nachdem sie ihre Taktik für die zweite Hälfte besprochen hatten. Die Osnabrücker würden jetzt erst recht alles nach vorne werfen, um das Spiel, mit zehn Mann, noch zu ihren Gunsten zu drehen. Aber sie hatten mit Ali Ben Yussuf einen ihrer wichtigsten Spieler verloren und genau darauf setzten Jo und Raffi jetzt. Sie würden mit der Aufstellung beginnen, mit der sie in die Kabine gegangen waren und Raphael erst in der letzten Viertelstunde bringen, um dann mit zwei echten Spitzen aufs gegnerische Tor zu stürmen.

Die zweite Hälfte begann wenig später mit einem Paukenschlag der Gäste, die vom Anstoßpunkt weg, den für Timo Eisenhauer unhaltbaren Ausgleichstreffer zum 1:1 erzielten. Aber selbst davon ließen sich die Gastgeber nicht abschrecken. Ein Schweizer Käse hatte weniger Löcher, als die Osnabrücker Abwehr, die ein ums andere Mal patzte und dem FSV Tür und Tor öffnete. Dass es bis zur 50. Spielminute nicht zur erneuten Führung der Gastgeber gekommen war, hatten sie einzig und allein ihrem Schlussmann zu verdanken. Doch dann waren es ausgerechnet Dennis und Fabian Kleinschmidt, welche sich die Unachtsamkeit des Gegners ausnutzend in den Angriff einschalteten. Fabian war über rechts bis zum Mittelkreis vorgedrungen und leitete den Steilpass von seinem Zwillingsbruder Dennis per Kopf an Johannes weiter, der den Ball abtropfen ließ und an den frei stehenden Raphael weiterleitete. Der wiederum umdribbelte zwei seiner Gegner und tunnelte zuletzt den einen Meter zu weit vorm Tor stehenden Schlussmann, der nur noch zusehen konnte, wie die Lederpille, unter dem Jubel der Zuschauer zum erneuten Führungstreffer im Netz verschwand.

Wütend holte er aus und versuchte Raffi, nachdem der Treffer gegeben wurde, eine rechte Gerade zu verpassen. Der Blondschopf duckte sich weg und der Osnabrücker erwischte einen seiner eigenen Abwehrspieler, der seinem Torhüter zu Hilfe eilen wollte, indem er Raffi in die Beine grätschte. Die heimischen Zuschauer waren aufgebracht über so viel Unfairness der Gäste und jubelten dementsprechend, als der Schiri sowohl dem lila-weißen Dreier als auch dessen Torhüter den roten Karton entgegenstreckte.

Somit musste – neben dem Abwehrmann und dem Schlussmann ein weiter Spieler vom Feld, damit Osnabrück für die letzten Minuten seinen Ersatzkeeper einwechseln konnte. Diese ganze Aktion dauerte zehn Minuten, die Schiedsrichter Hansen aus Aurich natürlich nachspielen ließ.

Und in dieser verbleibenden Zeit spielte nur noch eine Mannschaft: Die VFLer versuchten sich zwar noch einmal aufzubäumen – aber mit drei Mann weniger auf dem Platz, konnten sie den befreit aufspielenden Kiebitzen nichts mehr entgegensetzten und verloren am Ende, durch zwei weitere Treffer der Gastgeber, hochverdient mit 4:1. Johannes Selders markierte per Kopfball den dritten Treffer für die Gastgeber und Fabian Kleinschmidt machte mit einem Lupfer in der vorletzten Spielminute den Deckel zu.

*****

Laurin Peters und Malte Gruber sahen beide nicht sonderlich gut aus, lächelten aber tapfer, als eine Abordnung der B – Junioren abends in ihr Krankenzimmer trat.

„Und wie ist es ausgegangen?“, fragte der Halbasiate, als er seine ‚Idole’ von der B1 erkannte.

„Denen haben wir mal gezeigt, wer die Mädchen sind!“, verkündete Johannes Selders.

„4:1 haben wir die Pfeifen nach Hause geschickt“, setzte ein ebenfalls strahlender Raphael Senner hinterher.

Ergün hatte sich zwischenzeitlich bei Malte auf die Bettkannte gesetzt und schaute gelassen auf das Gipsbein seines Freundes.

„Glatter Bruch – das Schlittschuhlaufen, können wir also getrost vergessen“, stellte der Rothaarige wehmütig fest. Sechs Wochen würde er jetzt mit diesem blöden Klotz am Bein rumlaufen dürfen. Alles bloß wegen dieses blöden Kamikazefußballers aus Osnabrück, der nichts Besseres wusste, als ihm per Notbremse die Gräten zu brechen.

„Is‘ doch wurscht Süßer, Hauptsache du wirst wieder richtig gesund“, entgegnete der Halbtürke lächelnd.

‚Holla, was geht denn hier ab?‘, dachte Laurin, dessen Augen immer größer wurden. Sollte an dem Gerücht über schwule B-Jugendspieler tatsächlich etwas dran sein?

„Bevor du fragst Laurin – Ergün und ich sind seit gestern zusammen“, sprudelte es munter aus Malte heraus. Für Bartek, Pawel und die Kleinschmidtzwillinge war dies natürlich ebenfalls noch völlig neu.

„Klasse – damit liegen wir mit unserer Schwulenqoute deutlich über dem vermuteten Bundesdurchschnitt“, brachte Dennis seine Gedanken grinsend auf den Punkt.

„Was würde Sergey jetzt sagen? Noch mehr Bräute für uns“, stellte Fabian breit grinsend fest.

Und was sagte wohl Laurin, nachdem sich auch Jo und Raffi vor ihm geoutet hatten und er diese Informationen im Bruchteil einer Millisekunde verarbeitet hatte? „Mir ist das egal, ihr seid trotzdem meine Helden!“

Trotz der sterilen Luft und der krankenhaustypischen Atmosphäre kam jetzt doch noch so etwas wie Partylaune unter den Anwesenden auf, schließlich hatte der FSV im Pokal die nächste Runde erreicht. Sicher – ohne diese Zwischenfälle wäre es noch schöner gewesen. Aber was solls, die Winterpause war da und in ein paar Wochen würde kaum noch jemand an die negativen Folgeerscheinungen des Pokalfights zurückdenken.

„Ach Laurin, sobald du wieder richtig fit bist, beginnt das Training für dich. Ab der Rückrunde wollen wir dich fest in unserer Mannschaft dabei haben“, verrieten Jo und Raffi, dem talentierten Juniorenspieler, augenzwinkernd. Mit dieser Überraschung gaben die Coaches dem Halbasiaten zum Abschied einen weiteren Grund – möglichst schnell wieder gesund zu werden.

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