Kapitel 3: Licht und Schatten
Johannes und
Raphael waren mehr als erleichtert, denn leider war es trotz eindeutiger
Position des Deutschen Fußballbundes DFB, mit Sitz in Frankfurt am Main, bis
heute für schwule Fußballer immer noch nicht selbstverständlich, ihrer Neigung entsprechend
offen Leben zu können. Wenn man sich mal richtig gezielt umschaute, war bei den
‚Spielerfrauen‘, auf den Ehrentribünen in den Stadien der Profivereine, doch
garantiert die Eine oder Andere nur dazu da um den schönen Schein zu wahren.
Aber darüber wollten die beiden Sechzehnjährigen im Augenblick nicht nachdenken.
Sie würden trotz des
positiven Zuspruchs durch die Mannschaft trotz allem niemals auf die Idee
kommen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor ihnen Händchen zu halten oder
rumzuknutschen. Weil so etwas zu Recht den Unmut der Teamkameraden wecken
könnte, denn schlussendlich hatten die anderen Spieler ihre Freundinnen ja auch
nicht ständig griffbereit, während sie auf dem Platz standen, beziehungsweise
vor, während des Spiels in der Halbzeit und danach in der Kabine waren oder
gemeinsam duschten. Im Volksmund heißt es ja nicht umsonst: ‚Dienst ist Dienst
und Schnaps ist Schnaps.‘
*****
Doch wo Licht ist, da
gibt es leider auch Schatten. Und dieser betrat den Saal, kurz nachdem Malte
die vor Beginn des morgigen Pokalspiels zu verlesende Erklärung an die
Zuschauer, den Vertretern der lokalen Medien vorgestellt hatte, in Form seines
Stiefvaters, der wutschnaubend nach vorne eilte, sich vor dem rothaarigen
Teenager aufbaute und diesem eine schallende Ohrfeige verpasste.
„Die ist dafür, dass du
Björn süchtig gemacht hast! Du kannst ab heute zusehen, wo du schläfst, in
meinem Haus jedenfalls nicht mehr!“
Was war überhaupt
passiert, dass der stark nach Alkohol riechende Erziehungsberechtigte vor
Zeugen dermaßen drastisch reagierte? Wir erinnern uns kurz an den Vormittag:
Johannes, Raphael und
Ergün waren Zeugen eines von Malte lautstark und energisch geführten
Telefonats, in welchem es unter anderem auch darum ging, dass die Polizei in
seinem Büro in der Verkaufshalle stand, nach dessen Beendung der Jugendliche
ihnen berichtete, was bei ihm daheim los ist, weil sein Stiefvater Werner
Henseleit den eigenen Sohn ständig bevorzugt behandelte, sodass dieser wirklich
machen konnte, was er wollte ohne, wenn er Mist baute, dafür gradestehen zu
müssen.
Der Autohändler und
KFZ-Meister hatte sich wenig später unter Protest gebeugt und die Beamten zur
Werkstatt geführt, wo sie Björn, in bekifftem Zustand vor der Halle antrafen,
während er noch an einem Joint zog. In seinen Taschen fanden sich neben etwa 200 g
Marihuana auch eine kleinere Menge Tabletten, die sich später, nach eingehender
Untersuchung als Speed herausstellen sollten. Bei dem Versuch sich einer
Festnahme, durch einen Sprung über einen Zaun zu entziehen, brach er sich das
rechte Sprunggelenk und musste daraufhin in ein Krankenhaus verbracht werden.
Auf dem Weg dorthin ‚gestand‘ er seinem Vater, der ihn begleitete, unter
Tränen, dass er süchtig sei und nur aus Angst vor seinem jüngeren Stiefbruder,
der ihn unter Gewaltandrohung dazu gezwungen hätte, mit Drogen handeln würde. Damit
hatte er seinen Erzeuger natürlich wieder einmal weich gekocht.
*****
Entsetzt sprang Malte
auf und wollte zurückschlagen, konnte Johannes und Raphael aber gerade noch
abgehalten werden. Hier bestand dringender Handlungsbedarf deshalb riefen die
Coaches auch Ergün zu sich nach vorne. Werner Henseleit war so stark
angetrunken, dass es an ein Wunder grenzte, das er es überhaupt geschafft
hatte, bis hierher zu kommen. Die Frage war jetzt nur, wie er dies vollbracht
hatte. Jo flüsterte dem gleichaltrigen Mannschaftskameraden etwas ins Ohr,
dieser nickte nur und verschwand dann aus dem Saal. Was hatte er dem jungen
Türken gesagt? Warum war er direkt aus dem Saal gerannt?
„Bleib ganz ruhig, wird
sind bei dir, das klären wir anders“, flüsterte Raffi derweil dem rothaarigen
Freund ins Ohr. Doch diesmal war es wirklich zu viel für den neuen
Mannschaftskapitän, er seine Augen füllten sich mit Tränen, seine Umgebung nahm
er nur noch verschwommen wir durch einen Schleier wahr, dann sank er heulend
auf seinen Platz zurück. Er war völlig fertig, wieder einmal hatte sein
Stiefbruder Lügen über ihn erzählt und erneut hatte sein Stiefvater dem eigenen
Sohn mehr geglaubt als ihm. Der hatte übrigens ebenfalls Klappmesser gespielt
und saß vor sich hin wimmernd am Boden.
„Meine sehr verehrten
Damen und Herren ich möchte Sie bitten, sich mit unserer Mannschaft und mir einen
Raum weiter zu begeben, wo zwischenzeitlich ein kleiner Imbiss und Getränke für
Sie vorbereitet wurden. Wie Sie mitbekommen haben, gibt es hier scheinbar
einige Dinge zu klären, bei denen Ihre Anwesenheit nicht erforderlich ist“, forderte
Vereinspräsident Zabel die Anwesenden geistesgegenwärtig auf, den Saal zu
verlassen, die der Einladung auch ruhig folgten. ‚Bloß gut das hier kein
Kamerateam von SAT 1 oder RTL anwesend war, die hätten in dieser Situation
gnadenlos draufgehalten‘, dachte der Präsi noch als er, als Letzter gehend, die
Saaltür hinter sich schloss.
*****
„Basti, hilfst du dem
da bitte mal auf einen der freigewordenen Stühle und achtest dann bitte darauf,
dass er alles genau mitbekommt?“, zeigte Jo mit einer Wischbewegung auf den
immer noch am Boden hockenden Autohändler, als Ergün Özil den Saal wieder
betrat und dem schwarzhaarigen Teenager zunickte. „Henseleit -- Henseleit --
Henseleit!“, begann er kopfschüttelnd, „Ich mag ja erst sechzehn sein, aber als
Sohn eines Polizeibeamten, habe ich doch so einiges mitbekommen.“ Johannes
hatte Ergün vorhin gebeten, einmal nachzusehen ob Maltes Stiefvater in seinem
Zustand mit dem eigenen Auto gekommen war. Als Özil bei seiner Rückkehr nickte,
wusste er, wie er weiter verfahren konnte und dies machte er mit der folgenden
Bitte auch unmissverständlich klar. „Schauen wir doch mal was wir hier haben“,
begann er seine Aufzählung. „Autofahren in stark alkoholisiertem Zustand, ich
tippe mal auf mindestens 1,5 Promille, aber das wird sich halt erst durch
Alkoholtest und Blutprobe genau feststellen lassen.“ Langsam kam wieder so
etwas Ähnliches wie Leben in den Körper des angesprochenen Endvierzigers.
„Tätlicher und verbaler Angriff auf einen Schutzbefohlenen -- ihren Stiefsohn
Malte Gruber und dies vor Zeugen. Da wir die Räumlichkeiten für unsere
Mannschaftsbesprechung und eine Pressekonferenz gemietet haben, üben wir in
diesem Augenblick auch ein Hausrecht aus. Sie hatten keine Einladung und haben
sich somit widerrechtlich Zutritt verschafft“, listete der Grünäugige weiter
auf. „Was meinst du Basti, reicht das als Motivationshilfe für die Freunde mit
dem blaugrauen Partybus?“ Henseleits Gesichtszüge verfärbten sich nach dieser
Frage zusehends und er litt deutlich an Schnappatmung.
„Doch, ja, das sollte
reichen, ich hab mein Handy leider nicht dabei. Ergün -- erledigst du das bitte
und rufst die 110?“
„Nein -- keine --
Pohlißei“, nuschelte der betrunkene Familienvater.
„Ich geh dann mal kurz
vor die Tür zum Telen, sonst muss ich heute noch in die Ausnüchterungszelle,
der stinkt ja wie ‘ne ganze Brauerei“, sonderte der Halbtürke trocken ab und
suchte kurz das Weite.
„Nein -- bidde, keine
-- Pohlißei“, winselte Henseleit beinahe flehend.
„Tja sorry Werner,
dafür ist es jetzt wohl zu spät. Unglaublich, dass ich dich und Björn Anfangs von
Herzen lieb gehabt habe. Du hast heute den Falschen geschlagen und Björn wieder
einmal mehr geglaubt als mir. Aber darüber wirst du heute Nacht noch genug
Gelegenheit haben nachzudenken, sobald sich die Tür der Ausnüchterungszelle
hinter dir geschlossen hat.“ Malte war wieder gefasster, als noch vor ein paar
Minuten. Sich von guten Freunden umgeben zu wissen, die zu ihm hielten, tat
seiner Seele gut und diesmal war er sich auch sicher, dass die Probleme nicht
so einfach mit einer Geldspende aus der Welt geschafft werden könnten. Diesmal,
so hoffte der sechzehnjährige Gymnasiast zumindest -- würde es einen satten
Freizeitentzug für Björn hageln.
Johannes Selders lag
mit seiner Schätzung übrigens gar nicht so weit daneben. 2,0 Promille wurden
als Blutalkoholwert später festgestellt und dieser bescherte dem Geschäftsmann
eine Nacht im Hotel ‚Zur Schwedischen Gardine‘, nebst dem Entzug der
Fahrerlaubnis.
*****
„Das war mal echt ein
Scheißtag“, stellte Malte später am Abend gähnend fest, „bloß gut, dass Henning
bei Oma und Opa ist und nix davon mitbekommen hat.“
„Ach jetzt hör auf
darüber nachzudenken, das ist es nicht wert. Komm lieber unter die Bettdecke,
hier ist es kuschlig warm“, sonderte Ergün Özil trocken ab. Er hatte Malte
angeboten bis Sonntag bei ihm zu bleiben und seine Eltern hatten es erlaubt.
Ein Angebot, welches dieser dankend angenommen hatte, hatte es den Vorteil,
dass er nicht alleine mit seinen Gedanken war und Ergün freute sich darüber,
den zugegeben süßen ‚Weichspüler‘ direkt neben sich liegen zu haben, seine Nähe
und Wärme spüren zu dürfen, weshalb er wehmütig beschloss, die Situation nicht
auszunutzen, um Annäherungsversuche zu starten.
‚Oh man, was ist bloß
los mit mir? Warum habe ich plötzlich voll die Schmetterlinge im Bauch? Der Typ
riecht aber auch fast schon unverschämt gut. Ich muss schnell an was anderes
denken, sonst -- Mist zu spät, hoffentlich merkt Ergün nich‘, dass ich ‘nen
Harten hab.‘
*****
Ein paar Häuser weiter,
lagen Raphael und Johannes ebenfalls noch wach. Eigentlich waren sie hundemüde,
aber es war das erste Mal, dass sie gemeinsam in Raffis neuem Bett lagen. „Weißt
Du, worauf ich jetzt Lust hätte?“, fragte der Blondschopf seinen Freund
grinsend.
„Ich doch auch Schatz --
aber dieser ganz Mist der letzten beiden Tage geht mir einfach nicht aus dem
Kopf“, antwortete der Schwarzhaarige angespannt. „Und dann noch morgen diese
Aktion vor dem Spiel gegen Osnabrück irgendwie hab ich da Bammel, dass der
Schuss nach hinten losgeht und wir uns damit ein gewaltiges Eigentor schießen.“
„Ach Hase überleg doch
mal -- die Aktion ist klasse, da haben sich unsre Jungs was richtig tolles
einfallen lassen. Wenn wir das wie besprochen durchziehen, das könnte Schule
machen -- bis ganz oben in die Nationalmannschaft“, hielt Jo dagegen und
massierte seinem Freund, mit kreisenden Bewegungen den Rücken.
„Hmmm, das ist schön“,
murmelte der schwarzhaarige Teenager, „das machst du richtig gut.“
*****
„Baby, Baby, Baby uuh -“
Es war ungefähr 0:30
Uhr, als Mister Bieber zu singen begann und Ergüns Kennung auf dem Display von
Johannes‘ Handy erschien. Jo und Raffi blickten sich erstaunt an, denn der
Halbtürke war eigentlich nicht der Typ, der seine Freunde mitten in der Nacht
störte.
„Da stimmt was nicht“,
schlussfolgerten die Jugendlichen gleichzeitig, bevor der Schwarzhaarige das
Gespräch hektisch annahm und sein Smartphone auf mithören stellte: „Björn ist
aus der Klinik abgehauen --“
Raffi und Jo waren kurz
vorm Einschlafen gewesen, aber jetzt wieder hellwach. „Was sagst du da Ergün?
Björn ist aus der Klinik abgehauen?“
„Wie geht das denn, der
is‘ doch am Sprunggelenk verletzt. Und außerdem dachte ich, die passen da auf“,
schob Raphael hinterher.
„Wir wissen doch selbst
nichts Genaueres“, brümmelte Ergün weiter, „jedenfalls steht Malte voll neben
sich und zittert wie Espenlaub. Können wir bitte bei Euch mit übernachten?“
„Klar, das geht schon
irgendwie, zieht euch was an und kommt rüber, aber ihr müsst euch die
Schlafcouch teilen“, antwortete Jo, nachdem Raffi und er sich kurz abgesprochen
hatten. Warum musste das ausgerechnet heute passieren, wenige Stunden vor dem
großen Pokalspiel? Sie hatten gegen die VFLer, welche eine Klasse über ihnen
kickten und Spieler in ihren Reihen hatten, die sogar schon mal bei der ersten
Mannschaft aushelfen durften, trotz ihrer eigenen guten Leistungen nur eine
Außenseiterchance. Wenn sie also nicht bald mal wenigstens eine Mütze voll
Schlaf bekämen, würde diese Chance auf null Prozent sinken.
*****
Malte sah schlecht aus, Angst und Müdigkeit
hatten sich deutlich in sein Gesicht gegraben und ihre Spuren bei dem
Rothaarigen hinterlassen. Auch wenn mittlerweile sicher war, dass sich sein
Stiefbruder definitiv nicht in der friesischen Kreisstadt aufhielt, so war
jedoch nicht gänzlich auszuschließen, dass Björn nicht doch vor dem großen
Spiel gegen den VFL hier aufkreuzen würde. Sicher an Kraft und Schnelligkeit
war er seinem Stiefbruder überlegen, außerdem waren sie zu viert. Somit würden
sie sich schon gegen ihn verteidigen können, solange er nicht bewaffnet wäre.
„D – d – danke, das wir
hier bleiben dürfen über Nacht“, stotterte Malte aufgelöst vor sich hin, als
sie später zu viert in Raffis Zimmer saßen.
„Schon okay – und jetzt
versuch zumindest an was Schönes zu denken, wir sind hier auf jeden Fall
sicher, sollte Björn so blöd sein hier oder morgen beim Spiel aufzutauchen,
wird er direkt hoppgenommen“, versuchten Raphael und Johannes den
gleichaltrigen Freund zu beruhigen. Draußen auf der anderen Straßenseite stand
ein Fahrzeug der Zivilstreife und beobachtete sowohl das Haus als auch die
nähere Umgebung. Und auch sonst waren in der Kreisstadt mehrere blaugraue
Fahrzeuge unterwegs und somit in Bereitschaft, um im Ernstfall schnell
zugreifen zu können. Selbst Ergün und Malte waren vorhin direkt, nachdem sie
das Haus verlassen hatten von den beiden Beamten in Zivil, kontrolliert und
dann zum Haus der Familie Senner begleitet worden.
„Genau Sü…, äh Malte, denk
lieber an was Schönes“, korrigierte sich der Halbtürke schnell und hoffte, dass
es niemand mitbekommen hatte. Mit diesem Versprecher gab er seinen Kumpels
allerdings eine Steilvorlage, die sie sich als gute Fußballer natürlich nicht
entgehen lassen konnten.
„Du hast Malte jetzt
nicht wirklich beinahe Süßer genannt oder?“, nahmen Raffi und Jo diesen
traumhaften Volleyschuss auf und taten dabei ganz so, als hätten sie sich
verhört.
„Öhm genau Ergün, was
wolltest du ursprünglich sagen?“, spielte auch der sechzehnjährige Rotschopf
den Ball ebenfalls leichtfüßig zu seinem Mannschaftskameraden zurück. Dieser
versuchte allerdings gerade ganz angestrengt, mit hochrotem Kopf, Löcher in den
Fußboden unter ihm zu starren.
„Hab mich halt in Malte
verliebt“, brümmelte sich Ergün leise in den nicht vorhandenen Bart. „Ach
Mensch is‘ doch alles Scheiße außerdem will ich jetzt langsam mal pennen“,
grantelte er vor sich hin und versuchte dem Blick seiner drei Freunde, die ihn
zu durchlöchern schienen, irgendwie Stand zu halten.
„Genau lasst uns
endlich hinlegen, die Nacht wird ja nicht länger, bloß weil wir hier sitzen
bleiben“, stellte Malte herzhaft gähnend fest, streckte sich dabei, legte Ergün
einen Arm um die Schulter und flüsterte diesem dann ins Ohr: „Und hör auf zu
granteln Süßer, ich bin nämlich auch
in dich verknallt.“ Der Sechzehnjährige wusste selbst nicht genau, warum er das
ausgerechnet jetzt gesagt hatte, aber er fühlte sich überraschend gut damit.
Ergün blickte Malte
nach dessen Geständnis aus großen braunen Augen an. Hatte er das jetzt wirklich
richtig verstanden? Hatte der rothaarige Teenager ihm wirklich gerade seine
Liebe gestanden? Am liebsten würde er seinen Mannschaftskameraden jetzt in die
Arme schließen und ihn küssen. Aber was, wenn er sich doch nur verhört hatte,
wenn er das nur gehört hatte, weil er es gerne aus dem Mund seines Nebenmannes
hören wollte?
Johannes saß
mittlerweile bei Raffi auf dem Schoß, den beiden genau gegenüber auf einem
Sessel, sie beobachteten ihre Freunde und dachten sich ihren Teil. Denn so viel
war ihnen bereits klar geworden, Amors Pfeil hatte den beiden mitten ins Herz
getroffen, daran bestanden keinerlei Zweifel mehr, wenn man das Verhalten von Malte
und Ergün beobachtete.
Die Luft im Zimmer
knisterte förmlich und es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis
Malte und Ergün sich endlich küssen würden. Die Blicke, welche sie einander
seit Minuten zuwarfen, die schüchternen Versuche die Hand des jeweils anderen
zu ergreifen, um sie zu halten, der besondere Glanz in ihren Augen, dies alles
sprach deutlich dafür, dass sich hier zwei Liebende gefunden hatten. Jetzt bedurfte
es eigentlich nur noch einem winzigen Schupser, damit sie sich endlich nahe
genug kamen, um sich zu küssen. Aber noch trauten sie sich nicht.
‚Wenn nicht jetzt, wann
dann‘, dachten Johannes und Raphael sich, bevor sie ihre Augen schlossen und
ihre Lippen und Zungen verliebt miteinander tanzen ließen. Ergün und Malte
beobachteten dieses Spiel fasziniert. Aber nicht nur das, ihre Schmetterlinge
im Bauch verursachten einen derartigen Tornado der Gefühle in ihnen, dass ihnen
fast die Sinne schwanden. Minutenlang blickten sie sich stumm an und dann
passierte es. Gleichzeitig schlossen sie ihre Augen, ihre Köpfe näherten sich
einander immer mehr, bis sich ihre Lippen fanden, sich einander berührten und
zum Kuss miteinander verschmolzen.
*****
Das Rauschen des
Wassers und die fröhlichen Stimmen von Raphael und Johannes, die aus dem direkt
angrenzenden Badezimmer zu ihnen ins Schlafzimmer drangen, waren es die Ergün
und Malte, am nächsten Morgen gegen 11:00 Uhr, aus dem Reich der Träume in die
Realität zurückholten. Beide sahen sich aus verschlafenen Augen an und blickten
sich um, bevor Malte sich mit dem Oberkörper auf den des Freundes legte, um mit
diesem verliebt schnäbelnd den neuen Tag zu begrüßen.
„Moin, Moin ihr
Murmeltiere, das Badezimmer ist jetzt frei, aber beeilt euch bitte, unten in
der Küche wartet ein tolles Frühstück auf euch.“ Raffi und Jo wirkten heute
früh wie ausgewechselt und dies hatte seinen Grund nicht einzig darin, weil es
in der vergangenen Nacht ruhig geblieben war. Sie waren schon länger wieder
wach und hatten, während ihre beiden Mannschaftskameraden noch selig schliefen,
bereits das nachgeholt, was sie eigentlich machen wollten, bevor sie durch den
nächtlichen Anruf von Ergün unterbrochen wurden, als es gegen 10:00 Uhr leise
an die Zimmertür klopfte und Raffis Bruder Torsten, Johannes und ihn kurz nach
unten bat. Dort angekommen erwartete sie neben Jos Schwester Doreen und Raffis
Eltern auch noch Johannes Vater.
„Eure Vernehmung –
wegen der gegen euch erhobenen Vorwürfe, ist nicht mehr nötig. Verheugen ist
gestern nochmals vernommen worden und hat, auf Anraten seines Anwalts,
sämtliche Vorwürfe gegen euch zurückgezogen. Somit steht es euch jetzt frei, ob
ihr trotzdem eine Aussage machen wollt.“ Na das waren doch Neuigkeiten, die
Herr Selders da gebracht hatte. Damit war eine schwere Last von ihren
jugendlichen Schultern genommen und sie konnten sich jetzt wirklich voll auf
das Spiel gegen den VFL aus Osnabrück konzentrieren. Dennoch wollten die Jungs
von ihrem guten Recht Gebrauch machen und gegen Verheugen aussagen. Mehr noch –
denn jetzt wollten sie, nach dem Pokalspiel, auch ihre Teamkameraden davon
überzeugen, gegen den ehemaligen Trainer auszupacken, damit auch seine
zweifelhaften Methoden als Übungsleiter mit auf den Verhandlungstisch kommen
würden.
*****
In der gesamten
Kreisstadt gab es heute nur zwei Themen, die von der Bevölkerung heiß
diskutiert wurden, das bevorstehende Pokalspiel und der aus dem Krankenhaus
geflüchtete und seitdem wie vom Erdboden verschlungene A-Juniorenspieler Björn
Henseleit. Nicht einmal seine eigenen Mannschaftskameraden ließen plötzlich
auch nur ein gutes Haar an ihrem Mittelstürmer: „Wenn er nur halb so gut wäre,
wie er beim Training immer tut, wären wir eine Spitzenmannschaft wie unsere B1.“
Schon alleine an dieser
Aussage lässt sich erkennen, was die A-Junioren von ihrem Mannschaftskameraden
hielten, der selbst die eigenen Mitspieler bei Trainingsspielen, in den
vergangenen Monaten, immer wieder mit versteckten Fouls bedachte.
„Der muss ja echt
Scheiße am Stiefel kleben haben – ich wette, der ist bei seinen neuen Freunden
den Glatzen untergetaucht.“ Solche und ähnliche Sprüche waren es die in der
friesischen Kreisstadt hinter vorgehaltener Hand, über Henseleit Junior, die
Runde machten.
*****
Ab 12 Uhr mittags hätte
man in der Innenstadt getrost den Ausnahmezustand ausrufen können, als neben der
Gastmannschaft auch eine Gruppe von 30 mitgereisten Fans, die kaum, dass sie richtig
angekommen waren, pöbelnd durch die Altstadt zog: „Euren Schwuchteln werden wir
heute mal zeigen, wie richtig Fußball gespielt wird. Die Arschficker lassen wir
Dreck fressen, bis sie nicht mehr wissen, wie sie überhaupt heißen.“
Die meist noch
jugendlichen Anhänger der Osnabrücker waren bereits dafür bekannt, dass sie
nicht nur mitreisten, um ihre Mannschaft zu unterstützen, sondern auch gerne
mal die Fäuste fliegen ließen. Da war es gut gewesen, dass der Verein sich im
Vorfeld entschlossen hatte, aufgrund des erhöhten Zuschauerinteresses, zusätzliche
Ordnungs- und Sicherheitskräfte anzufordern.
*****
Als die Spieler der Heimmannschaft gegen 13
Uhr am Stadion eintrafen, wurden sie von einigen ihrer Anhänger wie Stars
begrüßt und mussten sogar Autogramme schreiben.
„Wenn das so
weitergeht, falle ich mit einer Sehnenscheidenentzündung aus“, scherzte der
braunhaarige, 1,90 Meter große Schlussmann, Timo Eisenhauer grinsend, während
sie alle ruhig auf allem unterschrieben was ihnen hingehalten wurde. Als sie
dann zwanzig Minuten später endlich in den Innenbereich traten, fiel den
Spielern sofort die Regenbogenfahne auf, die neben der des Vereins lustig im
Wind wehte.
„Is‘ ja irre, wo haben
sie die denn aufgetrieben?“, fragte Sergey in die Runde.
„Meine Schwester Doreen
und Raffis Bruder Torsten engagieren sich als ehrenamtliche Helfer, für die Schwulesbische Jugend Oldenburg e. V.“,
erklärte Johannes‘ seinen Mannschaftskameraden.
„Und 25 dieser
Jugendlichen haben gestern spontan beschlossen hierher anzureisen, um uns heute
unter dem Motto: ,Fußball ist alles – auch
schwul!‘ zu unterstützen“, vervollständigte Raphael, bevor sie geschlossen
in ihre Kabine marschierten, um sich dort umzuziehen und auf Sebastian Böhm zu
warten, der wenig später ebenfalls eintraf.
„Moin Jungs, also wenn
das mit dem Rummel um euch so weitergeht, werden wir für eure Heimspiele wohl
bald ein kleines Stadion brauchen. Ich habe mitbekommen, dass heute mehr als
150 Zuschauer erwartet werden“, klärte Basti das Team auf, bevor es auf dem
Flur vor der Kabine zu einem Tumult kam und wenig später die Tür aufgerissen
wurde. „Henseleit – reicht es Ihnen nicht, dass Sie gestern die Pressekonferenz
gestört haben?“
„Lass gut sein Basti,
ich regele das jetzt auf meine
Weise.“ Malte war jetzt richtig stinkig auf seinen Stiefvater, hatte es denn
nicht gereicht, dass er ihn gestern im Schützenhof grenzenlos gedemütigt hatte?
Mit freiem Oberkörper, weil er sein Trikot noch nicht angezogen hatte, sprang
er vor, holte aus und verpasste dem viel zu überraschten Autohändler eine
Maulschelle, die selbst die Wände zum wackeln gebracht hätte. „Die war dafür,
was du mir gestern angetan hast und jetzt verlässt du die Kabine und lässt dich
nicht wieder blicken, bevor die Partie zu Ende ist.“
„Aber –“
„Nichts aber, egal was
du sagen willst, das kann warten bis nach dem Spiel!“, knatterte der
sechzehnjährige Mannschaftskapitän und ballte drohend die Faust, woraufhin
Henseleit Senior kurz zusammenzuckte und dann mit gesenktem Haupt die Kabine
verließ. „Vier Jahre Frust – aber das gehört jetzt nicht hierher“, fasste Malte
seine Reaktion, für die erstaunt dreinblickenden Mannschaftskameraden, in einem
Satz zusammen.
„Recht hast du Malte –
und ich glaube, hier ist niemand, der – nach dem was gestern passiert ist,
anders reagiert hätte“, beruhigte Trainer Böhm, der in seinem eigenen
Elternhaus ganz ähnliche Dinge erlebt hatte, den sechzehnjährigen Rotschopf.
Während die Kiebitze
kurz drauf geschlossen auf den Platz gingen, um sich warmzumachen, hatte die
Polizei in der Altstadt zugegriffen und zehn der auswärtigen ‚Fans‘ festgenommen,
weil sie vier jugendliche Anhänger der Heimmannschaft in eine Seitenstraße
gedrängt und dort verprügelt hatten. Wobei Laurin Peters, ein fünfzehnjähriger
Halbasiate und Mittelfeldspieler in der B2 vom FSV, so schwer verletzt worden
war, dass dieser mit zwei gebrochenen Rippen ins Krankenhaus eingeliefert
werden musste.
*****
Es war beinahe
unglaublich: Während die Gastgeber in Traditionellem blau-weiß antretend und
ihre lila-weißen Gegner vom VFL sich warmmachten, konnte man dabei zusehen, wie
sie das Stadion am Schützenhof mit Zuschauern füllte. Schnell platzte die
Steintribühne aus allen Nähten und die verbleibenden mussten sich einen Platz
rund um das Spielfeld suchen. Mit 176 Zuschauern sollte später ein neuer
Publikumsrekord verbucht werden können, welchen der Verein in seiner
langjährigen Geschichte und hier speziell in der Jugendabteilung noch nie
erreicht worden war.
„Achtet besonders auf
den Spieler mit der Rückennummer 6. Der ist dafür bekannt, dass er seine Gegner
im Kampf um den Ball auch gerne mit Fouls traktiert. Alleine in dieser Saison
ist er schon zweimal mit Rot vom Platz gestellt worden. Die Abwehr gerät bei
hohen Bällen ins Schwimmen, ihr habt ja gesehen, dass ihr im Schnitt mindestens
fünf Zentimeter größer seid als die Osnabrücker“, gab Basti später als sie
wieder in der Kabine waren, um auf den Spielbeginn warteten.
Die Osnabrücker
spielten zwar zwei Klassen über ihnen, dennoch waren die Kiebitze davon
überzeugt, auch dieser Mannschaft ein ebenbürtiger Gegner sein zu können.
Normalerweise begannen die B-Junioren daheim gerne mit drei Spitzen, damit
würden sie diesem Gegner allerdings unter Umständen ins offene Messer laufen.
Deshalb hatten Johannes und Raphael beschlossen, in der ersten Halbzeit draußen
zu bleiben und lieber mit einer gestärkten Fünferabwehr zu beginnen und Malte
als einziger Spitze aus dem Mittelfeld heraus zu beginnen. Sollten die Gegner,
sich in der ersten Halbzeit ruhig müde stürmen.
*****
Dann war es soweit, der
Schiedsrichter klopfte an die Kabinentüren und die Mannschaften wurden aufs
Spielfeld gebeten. Die Spieler beider Teams wurden von den Zuschauern, die sich
die Wartezeit bei milden winterlichen Temperaturen, mit friedlichen Fangesängen
bei Laune gehalten hatten, begrüßt und man nahm auf dem Spielfeld Aufstellung
für erste Pressefotos. Die Stimmung war, gut bis Malte das vorbereitete
Statement verlas:
„Wir die Spieler der B1
Junioren des FSV, eine Mannschaft bestehend aus vielen Nationalitäten und
Hautfarben, wenden uns heute an Sie, um zu erklären, das wir entschieden gegen
Rassismus, Mobbing und jede Form der Gewalt und Verfolgung sind … bei uns spielen
Juden, Christen und Moslems, Heterosexuelle und auch Homosexuelle.“ Genau
an der Stelle, mit den Homosexuellen Spielern, drudelten einigen der
Osnabrücker Spielern sichtbar die Kinnladen herunter und aus den Reihen ihrer
mitgereisten Fans, begann ein Pfeifkonzert. Dennoch las der Mannschaftskapitän unbeirrt
bis zum Ende:
„Es ist uns egal, woran
jemand glaubt oder wie er liebt. Wir sind und bleiben trotzdem, wie es ein
großer deutscher Nationaltrainer mal nannte: ELF
FREUNDE! Und deshalb sagen wir ganz entschieden NEIN zu
Fremden- oder Schwulenhass.“
Die Stimmung innerhalb
der Gastmannschaft war jetzt deutlich unter den Gefrierpunkt gesunken. Sie
sollten gegen schwule Fußballer spielen? Da könnte man sie ja gleich gegen eine
Mädchenmannschaft antreten lassen. Sie verließen geschlossen das Spielfeld
Richtung Kabine und der VFL-Trainer führte eine lautstarke Diskussion, mit dem
Schiedsrichter und dessen Assistenten. Zehn Minuten lang wechselte ein Argument
das andere und als dem gegnerischen Trainer am Ende Spielverlust und damit das
Ausscheiden im Pokal angedroht wurde, gab er mit zorngeschwollenen Adern klein
bei und holte seine Mannschaft aufs Spielfeld zurück.
*****
Fair Play geht anders,
dass was die VFLer den Zuschauern in den ersten 30 Minuten der Partie boten,
glich eher einem Gemetzel, als einem normalen Fußballspiel. Doch egal was die
Osnabrücker auch versuchten, die FSVer hielten mit sportlich fairen Mitteln
dagegen. Und nicht allein, dass sie ihre Gegner nicht zum erfolgreichen
Abschluss kommen ließen, sie kamen mit jeder Minute besser ins Spiel, fanden
die Lücken in der gegnerischen Abwehr und scheiterten bis dahin lediglich
zweimal am Schlussmann der Osnabrücker, der mit seiner Leistung einen frühen
Führungstreffer durch die Heimmannschaft mit knapper Not verhindern konnte. Ihm
gegenüber stand ein Timo Eisenhauer im Kasten, der alles hielt, was auf sein
Gehäuse kam.
So stand es bis zur 39.
Spielminute 0:0 obwohl die Kiebitze den Führungstreffer längst verdient gehabt
hätten, als Malte in der letzten Minute der ersten Hälfte frei bis in den
Strafraum der Osnabrücker kam, nur noch durch eine Notbremse, des Sechsers im
lila-weißen Trikot, am Einschuss gehindert werden konnte und verletzt liegen
blieb. Die Schiedsrichterentscheidung war eindeutig, Rot gegen Ali Ben Yussuf
und Elfmeter für die Gastgeber. Die Stimmung im Publikum war extrem aufgeheizt
und der lila-weiße Sechser wurde mit Pfiffen und Schmährufen zum Duschen
geschickt.
Nach fünfminütiger
Unterbrechung, für den verletzten Kapitän Malte Gruber war jetzt Johannes
Selders ins Spiel gekommen und hatte auch die Spielführerbinde übernommen,
konnte der Strafstoß endlich ausgeführt werden. Johannes galt als sicherer
Elfmeterschütze im Team, er legte das runde Leder auf dem Punkt zurecht, nahm
Anlauf, schickte den gegnerischen Schlussmann in die falsche Ecke und versenkte
die Kirsche sicher – zum 1:0 für den FSV im unteren linken Eck.
*****
Trotz der Führung,
hatte der Pausentee, in der friesischen Kabine, einen bitteren Beigeschmack für
die B – Junioren den FSV. Nicht nur, dass Malte zu weiteren Untersuchungen ins
Krankenhaus gebracht werden musste, mittlerweile war auch bekannt geworden, was
dem fünfzehnjährigen Laurin Peters in der Altstadt zugestoßen war. Die Jungs
kannten den mit 1,52 Meter recht kleinen Allrounder der B2, sie hatten ihn in
der laufenden Spielzeit zweimal ausgeliehen, als Bartek an Grippe erkrankt war.
„Lasst uns das Spiel
heute für Malte und Laurin gewinnen“, schlug Bartek seinen Kameraden deshalb vor,
nachdem sie ihre Taktik für die zweite Hälfte besprochen hatten. Die
Osnabrücker würden jetzt erst recht alles nach vorne werfen, um das Spiel, mit
zehn Mann, noch zu ihren Gunsten zu drehen. Aber sie hatten mit Ali Ben Yussuf
einen ihrer wichtigsten Spieler verloren und genau darauf setzten Jo und Raffi
jetzt. Sie würden mit der Aufstellung beginnen, mit der sie in die Kabine
gegangen waren und Raphael erst in der letzten Viertelstunde bringen, um dann
mit zwei echten Spitzen aufs gegnerische Tor zu stürmen.
Die zweite Hälfte
begann wenig später mit einem Paukenschlag der Gäste, die vom Anstoßpunkt weg,
den für Timo Eisenhauer unhaltbaren Ausgleichstreffer zum 1:1 erzielten. Aber
selbst davon ließen sich die Gastgeber nicht abschrecken. Ein Schweizer Käse
hatte weniger Löcher, als die Osnabrücker Abwehr, die ein ums andere Mal patzte
und dem FSV Tür und Tor öffnete. Dass es bis zur 50. Spielminute nicht zur
erneuten Führung der Gastgeber gekommen war, hatten sie einzig und allein ihrem
Schlussmann zu verdanken. Doch dann waren es ausgerechnet Dennis und Fabian
Kleinschmidt, welche sich die Unachtsamkeit des Gegners ausnutzend in den
Angriff einschalteten. Fabian war über rechts bis zum Mittelkreis vorgedrungen
und leitete den Steilpass von seinem Zwillingsbruder Dennis per Kopf an
Johannes weiter, der den Ball abtropfen ließ und an den frei stehenden Raphael
weiterleitete. Der wiederum umdribbelte zwei seiner Gegner und tunnelte zuletzt
den einen Meter zu weit vorm Tor stehenden Schlussmann, der nur noch zusehen
konnte, wie die Lederpille, unter dem Jubel der Zuschauer zum erneuten
Führungstreffer im Netz verschwand.
Wütend holte er aus und
versuchte Raffi, nachdem der Treffer gegeben wurde, eine rechte Gerade zu
verpassen. Der Blondschopf duckte sich weg und der Osnabrücker erwischte einen
seiner eigenen Abwehrspieler, der seinem Torhüter zu Hilfe eilen wollte, indem
er Raffi in die Beine grätschte. Die heimischen Zuschauer waren aufgebracht
über so viel Unfairness der Gäste und jubelten dementsprechend, als der Schiri
sowohl dem lila-weißen Dreier als auch dessen Torhüter den roten Karton
entgegenstreckte.
Somit musste – neben
dem Abwehrmann und dem Schlussmann ein weiter Spieler vom Feld, damit Osnabrück
für die letzten Minuten seinen Ersatzkeeper einwechseln konnte. Diese ganze
Aktion dauerte zehn Minuten, die Schiedsrichter Hansen aus Aurich natürlich
nachspielen ließ.
Und in dieser
verbleibenden Zeit spielte nur noch eine Mannschaft: Die VFLer versuchten sich
zwar noch einmal aufzubäumen – aber mit drei Mann weniger auf dem Platz,
konnten sie den befreit aufspielenden Kiebitzen nichts mehr entgegensetzten und
verloren am Ende, durch zwei weitere Treffer der Gastgeber, hochverdient mit 4:1.
Johannes Selders markierte per Kopfball den dritten Treffer für die Gastgeber und
Fabian Kleinschmidt machte mit einem Lupfer in der vorletzten Spielminute den
Deckel zu.
*****
Laurin Peters und Malte
Gruber sahen beide nicht sonderlich gut aus, lächelten aber tapfer, als eine
Abordnung der B – Junioren abends in ihr Krankenzimmer trat.
„Und wie ist es ausgegangen?“,
fragte der Halbasiate, als er seine ‚Idole’ von der B1 erkannte.
„Denen haben wir mal
gezeigt, wer die Mädchen sind!“, verkündete Johannes Selders.
„4:1 haben wir die
Pfeifen nach Hause geschickt“, setzte ein ebenfalls strahlender Raphael Senner
hinterher.
Ergün hatte sich
zwischenzeitlich bei Malte auf die Bettkannte gesetzt und schaute gelassen auf
das Gipsbein seines Freundes.
„Glatter Bruch – das
Schlittschuhlaufen, können wir also getrost vergessen“, stellte der Rothaarige
wehmütig fest. Sechs Wochen würde er jetzt mit diesem blöden Klotz am Bein
rumlaufen dürfen. Alles bloß wegen dieses blöden Kamikazefußballers aus
Osnabrück, der nichts Besseres wusste, als ihm per Notbremse die Gräten zu
brechen.
„Is‘ doch wurscht
Süßer, Hauptsache du wirst wieder richtig gesund“, entgegnete der Halbtürke
lächelnd.
‚Holla, was geht denn
hier ab?‘, dachte Laurin, dessen Augen immer größer wurden. Sollte an dem
Gerücht über schwule B-Jugendspieler tatsächlich etwas dran sein?
„Bevor du fragst Laurin
– Ergün und ich sind seit gestern zusammen“, sprudelte es munter aus Malte
heraus. Für Bartek, Pawel und die Kleinschmidtzwillinge war dies natürlich
ebenfalls noch völlig neu.
„Klasse – damit liegen
wir mit unserer Schwulenqoute deutlich über dem vermuteten Bundesdurchschnitt“,
brachte Dennis seine Gedanken grinsend auf den Punkt.
„Was würde Sergey jetzt
sagen? Noch mehr Bräute für uns“, stellte Fabian breit grinsend fest.
Und was sagte wohl
Laurin, nachdem sich auch Jo und Raffi vor ihm geoutet hatten und er diese
Informationen im Bruchteil einer Millisekunde verarbeitet hatte? „Mir ist das egal,
ihr seid trotzdem meine Helden!“
Trotz der sterilen Luft
und der krankenhaustypischen Atmosphäre kam jetzt doch noch so etwas wie
Partylaune unter den Anwesenden auf, schließlich hatte der FSV im Pokal die
nächste Runde erreicht. Sicher – ohne diese Zwischenfälle wäre es noch schöner
gewesen. Aber was solls, die Winterpause war da und in ein paar Wochen würde
kaum noch jemand an die negativen Folgeerscheinungen des Pokalfights zurückdenken.
„Ach Laurin, sobald du
wieder richtig fit bist, beginnt das Training für dich. Ab der Rückrunde wollen
wir dich fest in unserer Mannschaft dabei haben“, verrieten Jo und Raffi, dem talentierten
Juniorenspieler, augenzwinkernd. Mit dieser Überraschung gaben die Coaches dem
Halbasiaten zum Abschied einen weiteren Grund – möglichst schnell wieder gesund
zu werden.
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