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Montag, 4. März 2013

Eigentor?! 3



Kapitel 2: Gerüchte, Halbwahrheiten und Facebook


Nachdem sich am vorigen Tag die Ereignisse in der friesischen Kleinstadt, zumindest aus Sicht unserer drei Freunde, überschlagen hatten, kehrte auch am Freitag noch keine Ruhe ein.

Natürlich hatte sich die Sache mit Verheugens Unfall wie ein Lauffeuer herumgesprochen und es war auch irgendwie durchgedrungen, dass er als B-Junioren-Trainer entlassen worden war, was auch gleichzeitig zu den wildesten Gerüchten Anlass gab, obwohl die wenigsten überhaupt wussten, warum. Aber so ist das nun einmal, jahrelang herrscht beinahe Totentanz und dann von einer Sekunde auf die nächste passiert etwas und jeder will mitreden. Ob jetzt beim Bäcker an der Ecke, beim Markendiscounter, ja selbst auf dem Wochenmarkt rund um den Kirchplatz, wurde über dieses Thema heiß diskutiert. Schließlich sollte die Mannschaft am Samstag im Pokal gegen den VFL antreten und jetzt war noch nicht einmal klar, ob die Partie überhaupt angepfiffen werden könnte, da es noch keine offizielle Meldung über einen möglichen Nachfolger für Verheugen gab.

Das Zuschauerinteresse an den Spielen der B – Junioren, war in der vergangenen Saison durch ihre Erfolge, unter Trainer Roland Hackenberg, größer gewesen als jenes an den Begegnungen der Erwachsenen. Im Durchschnitt kamen so viele Zuschauer zu den Begegnungen, dass man zuletzt in das Stadion am Schützenhof umziehen musste. Daran hatte auch Verheugen mit seinen zweifelhaften Methoden nichts ändern können. Auf dem Platz bildeten die Jungs um den ehemaligen Mannschaftskapitän Johannes Selders eine geschlossene Einheit, dies war auch nach der Verabschiedung von Hackenberg, den seine Jungs nur den Roland nannten, der aus beruflichen Gründen ausschied, ihr Schlüssel zum Erfolg geblieben, auch wenn sie in dieser Saison mit zwei Unentschieden und einer Auswärtsniederlage in die Punktrunde starteten, wobei der ‚Schleifer‘ den Jugendlichen gegenüber auch die Remise’s als Niederlagen verkaufte, bloß um sie schwer bepackt durch die Botanik hetzen zu können.

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„Was ist jetzt eigentlich mit Morgen, spielt ihr oder wird die Partie abgesagt und verlegt?“

Diese Frage hörten die Zwillingsbrüder Dennis und Fabian Kleinschmidt, an diesem Vormittag nicht zum ersten Mal, während sie am Stand des landwirtschaftlichen Betriebes ihrer Eltern diverse Produkte wie Rindersalami aus dem eigenen Hofladen verkauften.
„Wir haben noch nichts Gegenteiliges gehört, die Teambesprechung ist erst um 15:30 Uhr“, spulten die Abwehrspieler zum gefühlten Eintausendstenmal die durch den Vorstand, für solche Fälle, ausgegebene Sprachregelung ab, bevor sie sich den nächsten Kunden zuwandten.

Auch Ergün, der eigentlich nur schnell zum Bäcker und danach direkt zu Johannes und Raphael wollte, durfte sich dieser Frage mehr als nur einmal stellen und fühlte sich langsam wie die Bandansage einer überlaufenen Hotline. Was dachten sich die Leute eigentlich dabei, sah er etwa aus wie die Auskunft? Wenigstens hatte der Sportreporter vom örtlichen Tageblatt Verständnis für ihn und gab ihm sogar einen Becher heiße Schokolade aus, als er diesen ebenfalls in der kleinen Bäckerei antraf.

„Alles ziemlich nervig heute oder?“, versuchte der Endvierziger langsam ein Gespräch mit dem B-Jugendspieler in Gang zu bringen.

„Nein -- Eberhard, selbst wenn du auf Knien vor mir rutschen würdest, ich kann dir auch nicht mehr sagen als die Zwillinge“, kam Özil der Frage des Lokalreporters, die dieser eigentlich stellen wollte, zuvor. „Aber ja -- du hast recht. Dieser ganze Wirbel, der um den Unfall gemacht wird, geht mir gerade extremst auf die Eier.“

Dass der älteren Dame am Stehtisch neben ihnen nach dieser Aussage, des jungen Türken, ihr Käsesahnestück fast wieder aus dem Gesicht gefallen wäre, hatte der Sechzehnjährige zwar mitbekommen, interessierte ihn aber nicht sonderlich. Für einen Weg, den er sonst in maximal fünf Minuten zurücklegte, benötigte er diesmal satte dreißig. Alles bloß, weil er alle paar Meter angehalten und mit derselben Frage traktiert wurde.

„Bleib einfach locker und lass die Leute reden.“ Doll kannte den jungen Mann, genau wie die meisten anderen der Spieler, seit der C-Jugend und wusste daher, wie er mit ihm umzugehen hatte. In der vergangenen Saison hatte er das Team zu seinen wichtigsten Auswärtsspielen begleitet und dadurch für die Onlineausgabe des Blattes wenige Stunden nach Spielschluss Exklusivreportagen bringen können.

„Eigentlich haste ja Recht, aber das heute ist echt Hardcore“, reagierte Ergün lächelnd und trank seine heiße Schokolade aus. Der Reporter schlug dem jungen Mann noch freundschaftlich auf die Schulter und fragte, bevor er in die Redaktion zurückkehrte, noch einmal wegen des Termins für eine Homestory über den talentierten Abwehrspieler an.

„Klar bleibt’s dabei -- nächste Woche Dienstag um 16 Uhr bei mir daheim“, bestätigte Erügn Özil mit extrabreitem Grinsen in Gesicht schnappte sich die Brötchen, die gekauft hatte und machte sich endlich auf den Weg zu seinen Freunden.

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Dem Hexenkessel Markplatz war Ergün wenig später glücklich entkommen. Allerdings benötigte er dennoch weitere dreißig Minuten und mehr als 20 verschiedene ‚Expertenmeinungen‘ über den Unfall und Gründe für die Trainerentlassung, welche er sich alle anhören ‚durfte‘, bis er gegen 11 Uhr das Haus der Familie Selders erreichte. Dort hatten Jo und Raffi alles andere als eine friedliche Nacht hinter sich.

Zunächst hatten die Sechzehnjährigen die halbe Nacht wach gelegen und weil ihnen die bevorstehende Vernehmung bei der Polizei, wegen der Falschaussage Verheugens, einfach nicht wieder aus dem Kopf gehen wollte. Und als sie endlich doch eingeschlafen waren, klingelte ab 4 Uhr morgens mehrfach Johannes‘ Handy mit unterdrückter Rufnummer und irgendwer stöhnte ihnen die Ohren voll und stieß mit verstellter Stimme wüste Beschimpfungen aus.

Letzten Endes hatte Jo sein mobiles Kommunikationsgerät genervt ausgeschaltet, bevor sie gegen 6 Uhr morgens wieder einschliefen. Dafür schlug dann um 9:30 Uhr Raphaels Smartphone Alarm und sie fanden eine SMS mit unbekannter Kennung, welche außer einem Facebooklink noch das Wort ‚SCHWUCHTELN‘ enthielt.

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schwule kiebitze? nein danke!

heute, 3:45 Uhr

ihr glaupt echt nich‘ was ich gestern abent gesehen hap! zwei spiler aus unsere B1 manschaft haben im kino rumgeknutscht und sich gegenseitig befumelt. mir wirt jezt noch ganz schlechd, wen ich daran denk. wenn ihr wiesen volt wer die schwuchteln sind leikt diesen beitrag. für 250 leiks lade ich die beweißfotos hoch!:)

100 Leuten gefällt das

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isch ficke deine mutta ha, ha, klar immer her damit, die mach isch platt, isch schwör.

heute, 8:30 Uhr * gefällt mir

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weichspüler96 Sagt mal, geht’s noch? Knipst mal eure Murmeln an! Schwule sind auch nur Menschen ob jetzt Fußballer oder nicht. Wenn die Jungs sich lieben na und?

heute, 9:00 Uhr * gefällt mir

Johannes und Raphael zitterten am ganzen Körper, nachdem sie dem Link gefolgt waren und auf einer Facebookseite landeten, wo es eindeutig um sie ging. Von 75 Kommentaren, die seit dem Start abgegeben wurden, waren lediglich 20 die den bisher noch Unbekannten (also ihnen), Mut zusprachen und den Initiator versuchten, in seine Schranken zu weisen. Jo wurde beim Lesen dieser verbalen Angriffe dermaßen schlecht, dass er es gerade noch rechtzeitig aufs Klo schaffte, wo er sich mehrfach übergeben musste.

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„Moin ich wollte mit Jo und Raffi frühstücken!“, begrüßte Ergün Frau Selders freundlich und hielt gut gelaunt die Brötchentüte hoch. Der Abwehrspieler war heute noch nicht im Internet gewesen, daher hatte er auch die Mail, mit dem Link zu Facebook, noch nicht in seinem Postfach gefunden und wusste deshalb auch noch nichts von diesem Cybermobbingversuch.

„Die sitzen bei meinem Mann in der Küche, aber ich glaube kaum, dass sie da jetzt große Lust drauf haben“, deutete Jos Mutter niedergeschlagen an. Die Eltern hatten ebenfalls ziemlich schockiert reagiert, als Raphael ihnen die Seite des sozialen Netzwerkes zeigte. Wobei der Vater des sechzehnjährigen Fußballers sich aber relativ schnell fing und den Link an seine Kollegen weiterleitete, damit dieser Schmutz so schnell als nur irgendwie möglich zunächst gesperrt, später endgültig aus dem Netz entfernt und dem Täter dafür auf die sprichwörtlichen Finger geklopft werden könnte.

„Wer meinem Sohn so etwas antut, der bekommt es auch mit mir zu tun“, war die erste Reaktion, nachdem er sich ein einen Überblick verschafft hatte und dann die bereits beschriebenen Schritte einleitete.

„Was‘n mit euch los? Ihr seht ja weißer als ‘ne frisch gestrichene Wand“, stellte Ergün Özil fest, als er wenig später in die Küche trat. Zwar hatten sich die Jugendlichen von dem ersten Schrecken erholt, aber nach den Anrufen, die ihnen in der vergangenen Nacht kostbare Stunden gekostet hatten, war es nun einmal nicht so leicht, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Deshalb zeigten sie Ergün die Seite, der wollte sich gerade einen Überblick verschaffen, als es erneut an der Haustür klingelte.

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„Moin zusammen entschuldigt bitte die Störung, aber ich hab da etwas, das euch eventuell interessieren könnte“, grüßte Malte Gruber in die Runde und legte ein Handy auf den Tisch, was dem rothaarigen Mittelfeldspieler mehr als nur einen fragenden Blick einbrachte. „Also nicht das Handy, sondern die Bilder da drauf könnten interessant für euch sein“, klärte er auf, und übertrug diese kurz drauf per Bluetooth auf den Rechner. „Ich muss schon sagen, ihr seid ein wirklich süßes Pärchen“, haute der Grünäugige schmunzelnd raus.

„Öhm Malte, das ist wirklich nicht so, wie es aussieht, aber wie kommst du überhaupt an diese Bilder?“

„So, so, dann sind das also nicht eure Zungen, die da so innig miteinander verknotet sind?“, haute er schmunzelnd raus. Denn er war nicht nur auf dem Platz, jemand der Situationen schnell erfasste und so war es ihm natürlich nicht entgangen, dass zwischen Johannes und Raphael seit einiger Zeit mehr lief, als nur eine reine Freundschaft unter Jungs. Die Bilder hab ich meinen Stiefbruder abgenommen. Der Schwachstromstecker wollte sie schnell auf meinem Rechner hochladen, als ich heimkam.“

„Wie von deinem Stiefbruder? Der war doch gar nicht im Kino“, stellte Ergün verwirrt fest.

„Deshalb sagte ich ja auch Stief- und nicht Halbbruder. Ich hab die von Björn einkassiert dem Schwachstromstecker.“

„Du redest jetzt aber nicht von Björn Henseleit oder?“, fragten die Drei wie aus einem Munde. Irgendwie standen sie gerade völlig auf der Leitung.

„Ich geb es ja nicht gerne zu, wer redet schon gerne über einen Gehirnakrobaten, mit dem IQ einer Wanderameise.“

„Und die hat er dir so einfach gegeben?“ Irgendwie war das alles gerade zu viel Input auf einmal.

„Nein, aber nachdem ich ihm die Nase ein wenig begradigt habe, hat er eingelenkt, bevor er heulend zur Arbeit geflüchtet ist. Ich habe ihn natürlich den ersten Schlag machen lassen, beziehungsweise er versuchte es.“ Erst jetzt merkten die drei Freunde, wie wenig sie wirklich über ihren Teamkameraden wussten. Das mussten sie unbedingt ändern und heute war die beste Gelegenheit damit anzufangen. Weil Herr Selders sich aber langsam ein wenig hinlegen wollte, rief er nur noch kurz seine Kollegen an, um ihnen mitzuteilen, wer hinter dieser unschönen Facebooksache steckte, und verabschiedete sich anschließend Richtung Bett.

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„Danke Malte, du hast uns echt den Arsch gerettet, denn so öffentlich wollten wir das mit uns eigentlich noch nicht machen“, bedankte sich das junge Pärchen überschwänglich, als sie gemeinsam mit Cola anstießen.

„Schon gut Männers, jetz kriegt euch mal wieder ein. Die Rückendeckung der gesamten Mannschaft habt ihr jedenfalls.“ Malte erzählte ihnen jetzt von einer Rundrufaktion, die er gestartet hatte. Er hatte bei einem Kumpel übernachtet und wollte eigentlich nur kurz online seine Mails checken, dabei entdeckte der Rothaarige die E-Mail, welche sein hohler Stiefbruder auch zu ihm geschickt hatte, ohne groß darüber nachzudenken. So wusste er dann schon mal, dass es außer ihm noch zwei weitere Teamkameraden gibt, die offensichtlich auf Jungs stehen. Wobei er sich allerdings noch nicht sicher war, ob er es nicht irgendwann doch mit einer Freundin probieren würde. Erst als sein Handy klingelte, unterbrach der Jugendliche seine Erzählungen und ging genervt ran. „Ja Werner? Jetzt bleib mal sachlich und brüll nicht so rum, ich bin nicht taub. Was? Was willst du? Ne sorry das seh ich nicht ein, und wenn die Polizei dreimal bei dir im Laden steht, wenn DEIN Sohn Mist baut, dann sollte ER auch dafür grade stehn. Wer hat denn die Schule geschmissen -- er oder ich? Wer ist heute wieder mal zu spät in der Werkstatt angetreten -- er oder ich? Hast du dich gar nicht gefragt, warum er nicht pünktlich war? Nicht? Gut dann sag ichs dir. Weil er wieder einmal irgendeine Ische die halbe Nacht gevögelt hat. Weil er unbedingt zwei meiner besten Kumpels telefonisch belästigen musste, achja und weil er sie unbedingt über Facebook bloßstellen musste, nur weil sie schwul sind und sich im Kino geküsst haben.

Die Dresche hat er von mir bezogen, weil er in MEINEM Zimmer Bilder von den beiden ins Internet hochladen wollte und dies von MEINEM neuen PC aus, den ich von MEINEM eigenen Geld, welches ich außerhalb der Schulzeit nebenbei verdiene, angeschafft habe. Es wird Zeit der Realität endlich in die Augen zu sehen, Björn ist kriminell und nicht erst seit gestern --“

Malte fühle sich schon länger wie eine Art männliches Aschenputtel und sein Stiefvater hatte bisher nicht das Geringste dafür getan, was dieses Gefühl hätte ändern können. Björn wurde, egal was er auch anstellte, bevorzugt behandelt und bekam von seinem Erzeuger die Hand vor den Arsch gehalten. Auch diesmal versuchte der Geschäftsmann wieder, die Argumente des B-Jugendspielers als unwichtige ‚Kindereien‘ abzutun.

„Nein, nein und nochmals nein, ich werde das nicht zurücknehmen. Cybermobbing ist KEIN KINDERKRAM, sondern eine ernst zu nehmende Angelegenheit. Muss es wirklich erst Tote oder Verletzte geben, bevor du begreifst, was hier eigentlich los ist? DEIN Sohn ist eine tickende Zeitbombe, begreif das endlich und handle danach!“ Malte hatte die Nase gestrichen voll davon, dass Werner sein Argumente nicht akzeptieren und ernst nehmen wollte, dabei waren Polizei und Jugendamt, alleine in den vergangenen vier Jahren, mehr als einmal bei ihnen daheim gewesen, weil Björn ‚auffällig’ geworden war. Aber immer wieder kam er letzten Endes mit einem blauen Auge davon, weil der liebe Papi dann einfach mal sein Portmonee oder das Scheckbuch zückte und für öffentliche Einrichtungen oder Vereine Geld spendete. „Jetzt hat er einfach aufgelegt, aber das kenn ich schon gar nicht mehr anders. Die Wahrheit will er nicht hören“, kommentierte der Jugendliche seufzend, bevor er sein Handy beiseitelegte.

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Ergün, Raphael und Johannes hatten während der fünf Minuten, die dieses recht hitzig geführte Gespräch gedauert hatte, erstaunt und zugleich schockiert zugehört. Solche verbalen Schlagabtäusche hatten sie bisher für Erfindungen aus dem Reich der Talk- und Realityshows eines bekannten privaten Fernsehsenders gehalten.

„Warum guckt ihr denn so ungläubig. Jetzt erzählt mir nicht, dass bei euch daheim nicht auch manchmal die Fetzen fliegen“, beendete der rothaarige Sportler die beklemmende Stille, nachdem sich die Jungs nach zehn Minuten immer noch eisern anschwiegen.

„Ist das normal bei euch?“, fragte Ergün, der als Erster seine Stimme wiedergefunden hatte.

„Ja -- leider“, begann der Grünäugige zu erzählen. Seinen richtigen Vater hatte Malte nie kennengelernt, der hatte seine Mutter sitzen lassen, als sie ihm erzählte, dass sie schwanger ist. Sechs Jahre lang lebten sie alleine und es reichte gerade für das Nötigste. „Naja und irgendwann kam dann Werner mit seinem Sohn zu uns nach Hause. Erst fand ich das ja auch ganz toll, besonders weil Mutti viel mehr lachte als früher und wir auch sonst viel mehr hatten. Björn war ja damals schon acht Jahre alt und ich fand die Vorstellung klasse, plötzlich so was Ähnliches wie ‘nen großen Bruder zu haben.“

Die drei Fußballer mussten mehrfach schwer schlucken, als ihr Mannschaftskamerad weitererzählte: „Naja, und dann als Björn Vierzehn wurde, begann das ganze Elend. Er fing an zu kiffen, klaute alles, was nicht irgendwie angebunden war und prügelt sich seitdem Hirnlos durch die Gegend. Erinnert ihr euch noch daran -- als ich vor zwei Jahren mit einem blauen Auge zum Training kam und behauptete ich wär in der Dusche ausgerutscht?“

Ihm schossen Tränen in den Augen, als er dies fragte, und brauchte ein paar Minuten, bevor er weitererzählen konnte. Natürlich erinnerten die Gefragten sich noch lebhaft daran, weil Malte damals mit einer coolen Sonnenbrille ankam, die er erst nicht absetzen wollte. „In Wirklichkeit war es so, dass Björn mir eine gelangt hatte, nachdem, weil -- weil ich mich geweigert hab sein stinkendes Ding in den Mund zu nehmen.“ Sein Stiefbruder hatte ihn dabei erwischt, dass er einen von den nackigen Boys in der BRAVO zu intensiv angesehen hatte und seine rechte Hand dabei vorne in der Hose hatte. „Jetz‘ mach schon du kleine Schwuchtel oder ich erzähl überall rum, was du heimlich für Sauereien machst, schrie er mich an. Aber ich hab mich weiterhin geweigert und dann hat er zugeschlagen.“ Obwohl Malte damals schon zwei Jahre Judo machte, um Körper und Geist zusätzlich zu trainieren, war er in dieser Situation einfach zu geschockt und überfordert um sich gegen den Schlag wehren zu können. Seit jenem Tag hatte der Jugendliche den allerletzten Funken Respekt vor seinem Stiefbruder verloren. „Seit diesem Tag trainierte ich noch verbissener und jetzt bin ich ihm auch an Stärke und Schnelligkeit überlegen.“

„Aber was ist mit deiner Ma, was sagt die eigentlich dazu?“, fragten Johannes und Raphael den Mittelfeldspieler.

„Mutti weiß von alledem nichts. Leider ist sie gerade wieder mal in der Psychiatrischen in Wilhelmshaven. Sie leidet seit Jahren an einer psychischen Erkrankung, deshalb versuche ich das alles, möglichst von ihr fernzuhalten. Naja und Werner will der Wahrheit nicht in die Augen sehen und hat mir sogar schon einmal damit gedroht, mich in eine Pflegefamilie zu stecken, wenn ich nicht endlich damit aufhöre, den Björn ständig schlecht zu machen. Und ganz ehrlich, wenn Mutti und Henning nicht wären, dann wäre ich schon längst da raus und in eine Wohngruppe gezogen“, schloss Malte Gruber seine Ausführungen.

So ging der Vormittag zu Ende, und nachdem sie alle zusammen bei Selders Mittag gegessen hatten, Malte war natürlich ebenfalls eingeladen, zockten die Freunde noch ein wenig Playsi um sich abzulenken, bevor sie Nachmittags zur Mannschaftsbesprechung mit anschließender Pressekonferenz in den ‚Schützenhof‘ mussten.

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„Wie ihr ja sicher mitbekommen habt, waren gestern durch den Unfall eures Trainers einige Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die uns nicht leicht gefallen sind, nachdem uns auch gestern erst durch Zufall bekannt geworden ist, wie Trainer Marco Verheugen euch behandelt hat.“ Nach dieser Eröffnung durch den Vereinspräsidenten ging ein Raunen durch die Menge. War die Begegnung etwa von offizieller Seite abgesagt worden? 

„Jetzt seid mal still und hört weiter zu“, rief Johannes seine gleichaltrigen Kameraden zur Ruhe und übergab das Wort wieder an Präsident Zabel, der sich bei dem ehemaligen Mannschaftskapitän bedankte und dann fortfuhr:

„Jungs ich bin enttäuscht von euch, hättet ihr schon früher ein Wort gesagt, dann hätten wir Verheugen sofort entlassen und uns nach einem neuen Übungsleiter für euch umgesehen--“ An dieser Stelle ließ Werner eine kleine Pause entstehen und blickte mit ernster Miene in die Runde. „Aber wir haben eine Lösung gefunden, die euch hoffentlich gefallen wird, denn wir haben gleich zwei talentierte Kräfte gefunden, die euch bis zum Saisonende durchs Training begleiten werden.“ Wieder wurde gemurmelt und die Spieler blickten sich fragend an. „Um es kurz zu machen -- Johannes Selders und Raphael Senner kommt ihr bitte zu mir nach vorne?“

Als die beiden Sechzehnjährigen dieser Aufforderung folgten, öffnete sich die Saaltür leise und Sebastian Böhm der Trainer der ersten Herrenmannschaft trat leise ein, während die Fragezeichen in den Augen der Teamkameraden, bis auf drei, immer größer wurden. Und dies waren die von Raffi, Jo und Ergün Özil, weil sie ja bereits wussten, wie es jetzt weitergehen würde. „Hiermit präsentiere ich euch die jungen Männer, die euch Sauhaufen als Teamchefs künftig Beine machen werden“, verkündete Werner Zabel schmunzelnd und überließ den beiden Jugendlichen alle weiteren Erklärungen.

„Nein Jungs ihr träumt wirklich nicht“, begann Johannes nervös lächelnd, „Raffi und ich können es ja selbst noch nicht ganz glauben.“ Nach diesem Satz trommelten achtzehn paar Hände frenetisch auf die Tischplatten.

„Weil wir aber ja noch keinen Trainerschein haben, benötigen wir zur Unterstützung einen dritten Mann, der uns mit Rat und Tat zur Seite steht. Basti kommst du bitte zu uns?“, verkündete ein strahlender Raffi. Erst jetzt bemerkten die anderen den weiteren Gast und begrüßten diesen mit einem kräftigen MOIN, MOIN. Als die Menge sich wieder beruhigt hatte, richtete auch der Neuankömmling kurz ein paar Worte an die Mannschaft:

„Jungs, ihr seid Momentan das stärkste Team, dass der FSV zu bieten hat und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit euch. Ich bin geholt worden, um eure beiden Coaches auch an euren Spieltagen beratend zu Unterstützen.“ Nach dieser Erklärung wurde die Versammlung für ein paar Minuten unterbrochen und das neue Trainergespann zog sich für zwanzig Minuten zurück.

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Als sie wieder eintraten, hatten sie auch Bartek Majer dabei, der vor einem Monat von Verheugen aus den Team geworfen wurde, weil er sich geweigert hatte, nach einem im Training verschossenen Elfmeter, 150 Liegestütze über einer Dreckpfütze zu machen. Nachdem dieser vom gesamten Team begrüßt worden war und bei seinen Kameraden Platz genommen hatte ergriff Raffi erneut das Wort: „Kommen wir jetzt zu einigen personellen Entscheidungen, wir haben Bartek vorhin angerufen und ihn gefragt, ob er wieder für uns spielen möchte. Wie er sich entschieden hat, könnt ihr ja sehen. Bartek ist aber noch aus einem weiteren Grund hier, er wird für Pawel die wichtigste Entscheidung ins polnische zu übersetzen.“

„Pawel, du bist ja ein lieber Kerl und wir mögen dich wirklich“, begann Jo ruhig zu erklären, „aber wir haben auch alle gemerkt, dass du dich als Mannschaftskapitän einfach nicht wohlfühlst, weil du noch nicht so gut deutsch sprichst.“ Hier machte er eine kurze Pause in der Bartek das eben Gesagte übersetzte. Pawel nickte eifrig und seine Augen strahlten sogar Erleichterung aus. Dann stand er kurz auf und fragte: „Ich durfen aber trotzdem weiter Spieler bei euch?“ „Klar darfst du, nur nicht als Kapitän“, antworteten Raffi und Jo lächelnd. Diese Hürde war also genommen, jetzt sollte die Katze aus dem Sack. Die Zwei hatten ja dank der schlaflosen Nacht auch einige Zeit zum Überlegen, wer der neue Spielführer sein soll. „Willst du oder soll ich?“, fragte Raffi seinen Freund. „Lass es uns gemeinsam sagen.“ Die beiden zählten auf drei und dann nannten sie den Namen des Spielers: „Unser neuer Spielführer ist -- Malte Gruber! Herzlichen Glückwunsch!“ Malte wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. 

Erst als Pawel ihm die Spielführerbinde übergab, fand er langsam seine Sprache wieder und bedankte sich schluchzend. „Also das mit den Spontanreden üben wir aber noch mal, in der Pressekonferenz um 17 Uhr haste die erste Gelegenheit dafür“, scherzten Raffi und Jo, bevor Präsident Zabel eine Runde Getränke für alle ankündigte.

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Darf ich bitte auch etwas sagen?“, fragte Sergey, nachdem sie alle versorgt waren, worauf Johannes und Raphael ihrem russischstämmigen Teamkameraden das Wort überließen. „Also wir haben ja heute Vormittag durch Facebook erfahren, dass wir zwei homosexuelle Spieler in der Mannschaft haben.“ Den beiden frisch ernannten Teamchefs rutschten bei dieser Bemerkung die Herzen in die Hose und sie verloren ein wenig ihrer gesunden Gesichtsfarbe.

„Wir waren alle richtig schockiert darüber --“, setzte der Spieler fort. ‚Schluss, aus, vorbei! Ende der Fahnenstange! Aus die Maus!‘ „dass es immer noch Menschen gibt, die sich so verachtend über Fußballer äußern, bloß weil sie halt anders lieben als die Masse.“ Ihre Gesichtszüge gewannen an Farbe zurück. „Deshalb haben wir etwas vorbereitet, was wir gerne morgen vor dem Spiel durch Malte verlesen lassen möchten.“

„Ähm, dürfen wir das vorher mal lesen?“, fragten Rafael und Johannes mit einem dicken Kloß im Hals. Auch Sebastian Böhm und Präsident Zabel wurden jetzt hellhörig, weil sie von dieser Sache im Internet zumindest schon kurz gehöret hatten, selbst wenn dort keine Namen gefallen waren.

„Logo dürft ihr“, kam es vielstimmig zurück, während der Russe ihnen das Schreiben einhändigte.

„Das haben wir für euch gemacht“, flüsterte Sergey ihnen ins Ohr, bevor er sich lächelnd umdrehte und zu seinem Platz am Tisch zurückkehrte. Eingerahmt von Basti und ihrem Präsi, die sich links und rechts neben sie gestellt hatten, blickten sie ohne ein Wort zu sagen in die Runde und wussten nicht, was sie jetzt machen sollten.

„Lesen! Lesen! Lesen!“, skandierten die Spieler lautstark und trommelten dabei mit ihren Handflächen auf die Tischplatten ein. ‚Das haben wir für euch gemacht‘, hallte es leise in den Ohren von Raffi und Jo wider. Trainer Böhm und Präsident Zabel legten ihnen, um sie innerlich zu stärken, demonstrativ eine Hand auf die Schulter. Die beiden Jugendlichen blickten ihre Nebenmänner kurz fragend an, worauf diese ihnen aufmunternd zunickten. Den beiden Sechzehnjährigen schlugen ihre Herzen bis zum Hals, als sie sich endlich trauten ihre Blicke dem, von allen Spielern unterschriebenen, Papier in ihren Händen zuzuwenden. Mittlerweile war es im Raum so still geworden, dass man Ameisen oder Regenwürmer husten hören könnte, wenn es in der kalten Jahreszeit und so kurz vor Weihnachten welche geben würde.

Wir die Spieler der B1 Junioren des FSV, eine Mannschaft bestehend aus vielen Nationalitäten und Hautfarben, wenden uns heute an Sie, um zu erklären, das wir entschieden gegen Rassismus, Mobbing und jede Form der Gewalt und Verfolgung sind.

Fußball ist für uns mehr als nur ein Ballspiel und die meisten von uns spielen seit vielen Jahren zusammen. Uns ist dabei völlig egal, ob jemand schwarz oder weiß, gelb oder lila ist. Bei uns spielen Juden, Christen und Moslems, Heterosexuelle und auch Homosexuelle.

Es ist uns egal, woran jemand glaubt oder wie er liebt. Wir sind und bleiben trotzdem, wie es ein großer deutscher Nationaltrainer mal nannte:

ELF FREUNDE

Und deshalb sagen wir ganz entschieden NEIN zu Fremden- oder Schwulenhass.

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Immer wieder überflogen sie die Worte, welche ihre Teamkameraden gefunden hatten, um ihnen in dieser Form eine Stimme zu verleihen. Johannes und Raphael hatten sich bisher weder im Verein noch in ihrer Mannschaft geoutet und doch wussten sie, auch ohne das ihre Namen genannt worden waren, um welche Spieler es sich in dem Facebookeintrag handelte. Erneut blickten sie in die Runde, sollten sie es offiziell machen, sollten sie vor ihren Mannschaftskameraden, zu ihrer Sexualität und ihrer Liebe stehen? Zu verlieren hatten sie doch nichts, im Gegenteil sie konnten nur noch gewinnen, wenn sie es den Jungs sagten. Jeder Einzelne von ihnen hatte es sich verdient, die Wahrheit aus ihrem Mund und nicht über Dritte zu hören. Die zwei lächelten sich an und nahmen Blickkontakt zu ihren erwachsenen Nebenmännern auf die ihnen ermunternd zunickten, dann richteten sie sich noch einmal aus und den Blick in die Runde der B – Junioren gerichtet fing Raffi an: „Wir wollten eigentlich nicht, dass ihr es so erfahrt, wie es heute Morgen geschehen ist.“

„Aber nun ist es einmal passiert und eigentlich wusstet ihr es ja schon, auch ohne das irgendwelche Namen genannt wurden“, zog auch Jo den verbalen Kaugummi noch mal in die Länge.

„Boah jetzt macht es doch nicht so spannend, wir wissen doch sowieso, dass ihr zusammen seid“, kam es vielstimmig lachend zurück.

„Also gut ihr habt ja gewonnen“, entgegneten Jonas und Raphael lachend, „wir sind schwul und das ist auch gut so.“

„STIMMT! Mehr Bräute für uns!“, haute Sergey breit grinsend raus und warf sich dabei in die Brust.

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