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„Wisst ihr
eigentlich wie selten dämlich ihr seid?“, giftete Max den Blondchen
entgegen, die bestimmt größere Brüste hätten, wenn sich endlich mal zwei
Mücken ihrer erbarmen und ihnen zwei Stiche geben würden. Er war
sauer, mächtig sauer. Durfte man sich jetzt noch nicht mal mehr
gegenseitig Rücken und Hintern mit Sonnenmilch einreiben, ohne gleich
als schwul hingestellt zu werden? In einer Zeit, in der Mädchen nicht
mal mehr alleine den Weg aufs Damenklo finden? Als die beiden Blondchen
darauf nicht reagierten, schaltete er noch einen Gang höher. „Hey ihr
Blödchen, ich rede mit euch.“ „Lass gut sein Maxi“, bat Mike flehend.
So in Rage hatte er seinen Bruder in all den Jahren noch nicht erlebt.
„Nein es ist nicht gut“, reagierte der Sechzehnjährige ungehalten.
„Tschuldigung Mike“, flüsterte er seinem Bruder noch schnell zu, bevor
er sich wieder den Mädchen zuwandte. „Ihr seid so hässlich, dass selbst
mein Pimmel kotzen könnte“, knatterte er weiter, stand auf und
präsentierte sein leblos baumelndes bestes Stück.
„A … a … aber wir d
… d … dachten …“, stotterte die linke mit rotem Kopf. „Ihr und denken
pah …“, hielt der Sechzehnjährige gegen, „wenn ihr Ohr an Ohr steht,
gibt das ‘nen Windkanal.“ Mike hatte sich inzwischen wieder beruhigt und
hätte am liebsten laut losgelacht. Der Spruch mit dem Windkanal war
aber auch einfach zu gut. „Und jetzt seht zu das ihr Land gewinnt, ihr
versperrt uns die Sicht auf die wirklich heißen Bräute“, knatterte er
zum Abschluss und legte sich zufrieden wieder neben Mike auf die Decke.
„So und jetzt zu uns beiden. Soll ich dich nicht lieber auch schnell
einreiben, bevor du noch ’nen Sonnenbrand bekommst?“ „Joah, kannste
machen, aber um meinen Po kümmere ich mich jetzt doch lieber selber.“
„Ganz wie Sie wünschen Herr Schumann“, antwortete Max lächelnd, obwohl
er sich insgeheim eigentlich gewünscht hätte ihn auch dort berühren zu
dürfen. Aber immerhin galt es, den Schein zu wahren und sich vor dem
anderen keine Blöße zu geben. Genauso dachte Mike auch, weil er sich
nicht sicher war, wie Max darauf reagieren würde, wenn er sich ihm in dieser Sache öffnen würde …
„So, ich will dann jetzt mal ins Wasser, kommst‘e mit?“, fragte Mike
nach einer Weile, nachdem sie sich endlich komplett mit Sonnenmilch
versorgt hatten. „Och nöööö, is‘ gerade so schön chillig, faul in der
Sonne zu liegen.“ Wenn Maxi vorher gewusst hätte, dass sie schon seit
ihrer Ankunft am See heimlich beobachtet worden waren, hätte er sich
wahrscheinlich anders entschieden und auch Mike wäre bestimmt nicht
alleine ins Wasser gegangen, wenn er etwas bemerkt hätte. „Na ja dann
viel Spaß ich geh mich eben abkühlen“, entgegnete Mike, bevor er
aufstand und Richtung Wasser ging, um sich mit einem Hechtsprung in die
Fluten zu stürzen. Maximilian hingegen hatte sein Gesicht in die
Richtung Wasser gedreht, hing noch eine Weile seinen Gedanken nach und
beobachtete seinen Bruder. „Er sieht aber auch wirklich unverschämt gut
aus“, sagte er grinsend zu sich selbst, bevor er die Augen schloss und
wegdöste …
„Hmmm, nich‘ jetzt Mike, lass mich noch schlafen“, murmelte Max
schlaftrunken vor sich hin, als ihm eine Hand sanft über den Rücken
strich. „Moment mal, Mike ist doch im Wasser, wie kann er mich da streicheln?“
Panik erfasste den Körper des Sechzehnjährigen. Die Hand gehörte
niemals zu seinem Bruder, sie fühlte sich irgendwie rauer an. „Ey du
fetter Schmierlappen, lass gefälligst deine Wurstfinger von meinem
Bruder“, rief Mike der gerade aus dem Wasser stieg und rannte sofort zu
ihrem Liegeplatz rüber, wo ein etwa 1,75 Meter großer, fetter, stark
beharrter Kerl mit seinen klobigen Wurstfingern Maxi Lehmanns Rücken
befingerte, der jetzt wie in Schockstarre lag und panisch seine Augen
aufriss, als er Mike Schumanns Stimme erkannte. Im nächsten Augenblick
sprang dieser auf den Kerl zu, der viel zu überrascht war, um sich
effektiv wehren zu können. Dieses Schreckmoment nutzte der
Sechzehnjährige aus, um einen gezielten Griff in die Weichteile des
Dreißigjährigen anzusetzen und leicht zuzudrücken. „Wenn du Schwein
nicht sofort deine Finger von meinem Bruder lässt, kannst du ab morgen
im Thomanerchor in der ersten Reihe mitsingen! Haben wir uns
verstanden?“, knatterte der Sechzehnjährige aufgebracht. „Ich hab doch
nichts gemacht, was der Kleine nicht auch wollte“, röchelte der
Dreißigjährige mit schmerzverzerrter Stimme. „Das war nicht, was ich
hören wollte. Außerdem wollte mein Bruder ganz bestimmt nicht von dir
Fleischklops befummelt werden. Noch so‘n Spruch und ich reiß dir die
Eier ab Schwuchtel“, zischte Mike wütend gab dem Fleischberg mit der
freien Hand eine saftige Maulschelle.
Dass diese Szene nicht unbeobachtet blieb, versteht sich von selbst.
Ungefähr zwanzig Jugendliche, die herbeigerannt waren, als es richtig
losging, lungerten jetzt um die beiden Kontrahenten und dessen ‚Opfer‘
herum. Maximilian war immer noch nicht in der Lage überhaupt ein Wort zu
sagen, er zitterte am ganzen Körper und hatte das Gefühl jeden
Augenblick kotzen zu müssen. Mike hatte den Typen inzwischen in den
festen Haltegriff genommen und war immer noch auf 180. „Hat irgendwer
von euch ein Handy dabei und kann die Bulle rufen?“, fragte er mit
pulsierender Halsschlagader in die Gruppe. „Und du Drecksack bleibst
schön ruhig, wenn du keine Schmerzen erleiden willst“, zischte er
wütend, als ein 25jähriger Rettungsschwimmer in den Kreis trat, der nur
an der typischen orangefarbenen Rettungsboje ála Baywatch zu erkennen
war. „Gibt’s hier irgendwelche Probleme Mike?“, fragte der 1,80 Meter
große, dunkelblonde Mann mit braunen Augen. „Ja gibt es, Basti! Könntest
du mir bitte diesen fetten Nacktarsch abnehmen, der versucht hat
meinen Bruder zu befummeln?“
Der 25jährige Sebastian Böhm kannte Mike Schumann schon seit dessen
Geburt. Die Eltern von Basti und Mike waren Nachbarn, da blieb es dann
später auch nicht aus, dass dieser als Fünfjähriger bei ihm das
schwimmen lernte. „Na wen haben wir denn da, Herbert den Fummler. Hatte
ich dir nicht vor ein paar Tagen Geländeverbot erteilt weil du deine
Finger nicht bei dir behalten konntest?“, fragte Sebastian mit drohendem
Blick, bevor er den Grapscher von Mike übernahm und diesen ebenfalls
in den Haltegriff nahm und ihn mit einem Kollegen zur DLRG Station
rüberführte. „Kümmer dich erstmal um deinen Bruder Mike und sobald er
sich besser fühlt legt ihr euch zu unserer Jugendgruppe rüber. Ich komm
zu euch, sobald wir dieses Subjekt hier der Polizei übergeben haben“,
wies der Rettungsschwimmer den Jugendlichen im weggehen noch an …
„Hey Maxi, gaaanz ruhig, ich bin doch bei dir alles ist wieder in
Ordnung“, flüsterte er dem Sechzehnjährigen ins Ohr, als dieser
zusammenzuckte, weil er ihm den Nacken kraulen wollte. Dicke Tränen
rollten über Maximilians Gesicht als sich der Schock des gerade erlebten
endlich löste. „Komm, wir legen uns jetzt zu der DLRG Jugendgruppe
rüber, das wird uns beide ein wenig Ablenken“, sagte Mike zu seinem
Bruder, als sie sich beide endlich ein wenig beruhigt hatten. Denn auch
wenn er gewollt hätte, er fühlte sich selber noch nicht wieder dazu in
der Lage, den Rolle sicher durch den Verkehr zu bewegen. „Schläfst du
heute Nacht bitte bei mir?“, fragte Max leise, während sie ihre Sachen
zusammenpackten um in die Nähe des DLRG Stützpunktes umzuziehen. „Klar
Großer, kein Problem“, antwortete der Gefragte. Es war ihm schon klar,
dass seinen Bruder diese Sache gerade stark mitgenommen hatte, auch
wenn Schlimmeres verhindert werden konnte, so war Maximilian innerlich
zu aufgewühlt, um alleine eine ruhige Nacht verbringen zu können. Das
war schon früher so. Selbst bei Gewitter hatten sie sich zusammen in
einem Bett eingekuschelt und gegenseitig ‚beschützt‘. Obwohl keiner von
beiden wirklich zugeben wollte, Angst vor diesem Naturereignis zu
haben, wussten sie auch ohne darüber reden zu müssen, was gerade in dem
anderen vorging. Sie waren sich eben mehr als nur Stiefgeschwister geworden. Mit einer Bindung zueinander, die sich durchaus als ‚Bruderliebe‘ bezeichnen ließ …
Der restliche Tag verlief ohne weitere Störungen. Max und Mike wurden
von den Jugendlichen begrüßt, als ob sie schon jahrelang dazugehören
würden. Und als Basti später noch dazustieß und den Grill anfeuerte, war
der Vorfall mit dem ‚Fummler‘ fürs Erste endgültig in Vergessenheit
geraten. Zumindest, bis … ja … bis die Jungs bei Schumanns daheim
eintrafen. Denn dort wartete Klaus bereits auf seinen Sohn, weil er
einem Polizisten angerufen worden war, der Mike wegen des Vorfalls mit
dem ‚Triebtäter‘ sprechen wollte. „Sag mal Mike, was habt ihr wieder
angestellt und warum wart ihr nicht im Freibad sondern am alten
Baggersee?“ „Gar nichts Pa und wir waren dort, weil wir lieber
Nacktbaden wollten, um nahtlos braun zu werden und das ginge im Freibad
wohl schlecht“, antwortete Mike wahrheitsgemäß, nachdem Maxi und er den
Vater begrüßt hatten. „Okay, soweit ist die Sache jetzt klar, aber was
war das für eine Sache mit dem ‚Triebtäter‘ ind die du offensichtlich
verwickelt warst?“, wollte Klaus Schumann jetzt wissen. Auch wenn sein
Sohn langsam erwachsen wurde und bisher niemals irgendwas angestellt
hatte, so macht er sich doch Sorgen, als er diesen Anruf erhielt. Jetzt
berichteten Max und Mike haarklein, was vorgefallen war. „Und deshalb
möchte ich beim Maxi bleiben, weil ich glaube, dass er meine Nähe heute
Nacht brauchen kann“, schloss Mike den Bericht nach etwas mehr als
dreißig Minuten, wo sie immer Abwechselnd von dem Vorfall und ihren
Empfindungen dabei erzählten.
„Ich bin stolz auf dich Junge und ich bin mir sicher, dass deine Mutter
es auch wäre, wenn sie noch leben würde“, schloss Klaus ihre
Unterhaltung, bevor Mike in sein Zimmer verschwand um frische Sachen für
den nächsten Tag zu packen. „Du Klaus, hast du eigentlich eine neue
Freundin?“, fragte Maxi die Gunst der Stunde nutzend, weil er wusste
dass seine Mutter ihn niemals wirklich aufgehört hatte zu lieben. Sie
brauchte den Abstand nur, um sich über ihre Gefühle klar zu werden,
nachdem er sie auf Geschäftsreise mit seiner Sekretärin betrogen hatte.
„Nein, dieser Seitensprung war eine einmalige Sache, die ich mehr als
einmal bereut habe“, antwortete Klaus so offen, wie sie es in den
vergangenen Jahren immer mit ihren Kindern getan haben.
„Mutti vermisst dich nämlich, sie gibt es zwar nicht offen zu, aber ich
höre sie manchmal Nachts weinen“, flüsterte Max seinem Stiefvater zu
bevor Mike wieder ins Wohnzimmer trat. Das stimmte zwar nicht so ganz,
denn in Wirklichkeit hatte er das nur einmal mitbekommen. Aber
der Weg ist das Ziel; und wenn es eine realistische Chance gab, die lieb
gewonnene Familie wieder unter einem Dach vereinen zu können, so war
ihm jedes Mittel recht und das sein Bruder genauso dachte, dessen war er
sich sicher. Gerade dieser letzte Hinweis des Sechzehnjährigen hatte
Mikes Vater nachdenklich gestimmt. Denn Klaus hatte mittlerweile auch
schon darüber nachzudenken begonnen, wie er Yvonne zurückgewinnen
könnte.
„Und vergiss bitte nicht, dich morgen um 10 Uhr im Polizeirevier
zu melden, um deine Aussage zu machen“, ermahnte der Vater seinen
Junior lächelnd, bevor die beiden Jungs die Wohnung verließen, um zu
Maximilian nach Hause zu fahren …
Bei Lehmanns angekommen, gab es vor einem feudalen Abendessen jedoch
zunächst noch dieselbe Diskussion wie schon zuvor im Hause Schumann,
denn auch Yvonne erhielt einen Anruf von der Polizei, mit der Bitte
ihren Sohn am nächsten Tag um 10:30 Uhr vorbeizuschicken. „Und euch ist
wirklich nichts passiert?“ „Nö, außer den üblichen anfänglichen
Erektionen wegen der tollen Aussicht nichts“, haute Mike doch
tatsächlich grinsend raus. Er wusste eben auch, dass man mit Yvonne über
alles offen reden konnte, ohne ein Blatt vor den Mund nehmen zu
müssen. „Sooo genau wollte ich es jetzt eigentlich nicht wissen, aber
egal“, konterte sie schmunzelnd. Sie genoss es einfach, ‚ihre‘ beiden
Jungs gemeinsam an einem Tisch zu haben, denn wie Max für Klaus, so war
ihr Mike über die Jahre wie ein richtiger Sohn geworden. Apropos Mike,
der haute wieder einmal rein, als hätte er seit Tagen nichts zu
Futtern bekommen.
„Wie geht’s Klaus eigentlich?“ Auf diese Frage seiner Mutter hatte Max
im Stillen gewartet, deshalb packte er die sich hier bietende
Gelegenheit beim Schopf, um den Grundstein für eine eventuelle
Wiedervereinigung der Familien zu legen. „Also ich glaube er vermisst
dich“, griff er den Ball auf, der eigentlich für seinen ‚Stiefbruder‘
bestimmt war. „So, so … tut er das?“ Die Antwort sollte schnippisch
klingen, was ihr aber nicht gelang. Yvonne war bestimmt eine tolle
Mutter, aber schauspielern konnte sie nicht im geringsten. „Ach Mutti
…“, stieß der Sechzehnjährige einen leisen Seufzer aus, „ich konnte ja
heute mal wieder etwas länger mit ihm plaudern …“ „Ey … was soll
das denn nun wieder heißen?“, beschwerte Mike sich, gespielt gekränkt.
„Na … wenn du auch für eine Nacht, deinen halben Hausrat einpacken musst“, haute der Sechzehnjährige schmunzelnd raus. „Ich erinnere dich daran, wenn du
das nächste Mal bei uns übernachtest“, konterte Mike breit grinsend.
Die Jungs liebten diese kleinen Neckereien und auch Yvonne konnte sich
das Grinsen nicht verkneifen. Endlich war mal wieder Leben in der Bude,
was ja seit der Trennung nur noch selten der Fall war. Im Moment
wünschte sie sich sogar, dass es wieder so werden würde, wie vor diesem
Vorfall mit Klaus‘ Sekretärin. Sollte sie ihn einfach mal unverbindlich
anrufen und zum Essen einladen?
„Jetzt ist es aber mal gut Jungs … außerdem war Max noch nicht fertig
mit erzählen“, beendete sie den ‚Streit‘, der in Wirklichkeit keiner
war; und spielte ihrem leiblichen Sohn den Ball zurück. „Jedenfalls war
ich einige Zeit mit Klaus alleine und da fragte er mich, wie es dir
geht. Na ja, dadurch habe ich rausbekommen, dass du ihm nicht egal bist,
er dich immer noch lieb hat und diesen doofen Seitensprung total
bereut. Also ich bin der Meinung, dass er eine zweite Chance wirklich
verdien hätte“, wagte er den abschließenden Vorstoß, weil er schnell
gemerkt hatte, dass er mit diesem Thema bei ihr keine offenen Türen
einrannte sondern eine aufmerksame Zuhörerin gefunden hatte …
„Sag mal, was war das eigentlich für eine Nummer, die du da in der Küche
abgezogen hast?“, fragte Mike später, als sie sich in Maximilians
Zimmer zurückgezogen hatten. „Ganz einfach … Mutti und Klaus lieben sich
immer noch und warum sollten wir beiden dem Glück dann nicht ein wenig
auf die Sprünge helfen. Außerdem kannste ruhig zugeben, dass es dir
auch recht wäre, wenn wir wieder alle unter einem Dach wohnen würden.“
„Okay du hast gewonnen ich gebe es zu. Greif übrigens mal in meinen
Rucksack. Da ist eine kleine Überraschung drin“, entgegnete der
Sechzehnjährige augenzwinkernd. „Ui … ein Sixpack Bier“, stellte
Maximilian sachlich fest, nachdem er diesen aus dem Rucksack des
Bruders ans Wolframlicht befördert hatte. „Genau! Ich finde das haben
wir uns heute mehr als verdient“, stellte Mike noch fest, bevor sie die
ersten Flaschen öffneten und gemeinsam anstießen …
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