Kapitel 7: Dumm gelaufen!
Es blieb auch weiterhin ruhig in der friesischen
Kreisstadt, selbst wenn die täglich bei der Polizei eingehenden Hinweise, wo
der immer noch flüchtige Björn Henseleit angeblich überall gesehen wurde,
mittlerweile einen ganzen Aktenordner füllten, führte jedoch keiner zu dessen
Ergreifung. Mittlerweile war der 19.12.2012 angebrochen und die Zeit schien
auch weiterhin munter gegen Justitias uniformierte Zulieferer zu laufen.
Dies wirkte sich besonders auf Malte negativ aus, den sein Stiefbruder jetzt
sogar bis in seine Träume hinein verfolgte. Wo er ihn ähnlich wie Freddy
Kruger, aus der A Nightmare on Elmstreet Filmreihe, in düsterste Albträume
hineinzog, um ihn dort durch finstere, unwirtliche Landschaften zu jagen. Und
ihm zuletzt, wenn er sich in Sicherheit glaubte, mit einem Klingenhandschuh,
kalt lächelnd, bei lebendigem Leib den Bauch aufschlitzte, seine Gedärme herausriss,
um ihn damit zu erdrosseln.
*****
„Scheiße – ich glaub wirklich – ich werde langsam
verrückt!“, grummelte Malte leise vor sich hin, als er gegen 5:00 Uhr morgens
schweißgebadet und mit rasenden Puls und Herzschlag aus dem Schlaf hochfuhr.
„Hmm, was? Was ’n los? Haste wieder von Björn
geträumt?“, brümmelte Johannes Selders, neben ihm liegend, verschlafen vor sich
hin. Seit Malte zum ersten Mal diese Albträume plagten, hatten unsere Freunde
ausgemacht, dass der Rothaarige, wenn sie bei Johannes oder Raphael
übernachten, in ihren Betten mitschlafen darf, weil ihre Lagerstätten breit
genug dafür sind. Dies galt jedenfalls immer, wenn Ergün nicht mit von der
Partie war. Denn der musste jetzt, in den letzten Tagen vor Weihnachten, jeden
Abend im elterlichen Restaurant als Aushilfskellner mithelfen. Es war jetzt
vier Nächte lang gut gegangen und der Sechzehnjährige hatte wie seine
gleichaltrigen Freunde angstfrei und ruhig schlafen können. Doch am gestrigen
Dienstag gab es einen neuen Shitstorm mit massivsten Drohungen, auf der
Facebook-Seite des FSV, deren Urheber eindeutig Björn Henseleit war. Und
diesmal waren auch ihre Namen und Bilder veröffentlicht worden, mit dem
Hinweis, dass ihre Schwuchtelköpfe spätestens am 21.12. rollen würden.
Gott sei Dank hatte es keine zwei Stunden gedauert,
die Facebook-Seite zu sperren und auf der vereinseigenen Homepage das Gästebuch
zu deaktivieren. Aber jetzt lagen die Nerven unserer drei Freunde endgültig
blank und sie bekamen auf ärztliche Anordnung, ein leichtes Beruhigungsmittel
und etwas als Einschlafhilfe verschrieben. Auch wurden sie, dank der Kontakte
von Hauptwachtmeister Selders, jetzt von einem Polizeipsychologen betreut, was
zumindest bei Jo und Raffi einigermaßen funktionierte und ihnen, trotz der
inneren Anspannung, wenigstens einen halbwegs ruhigen Schlaf verschaffte.
„Hey, jetzt beruhig dich erst mal – wir sind hier
absolut sicher, der kommt hier garantiert nicht rein.“ Johannes wusste genau,
dass das jetzt leichter gesagt als getan war, aber was sollte er dem
gleichaltrigen Schulfreund und Teamkameraden anderes sagen.
„Beruhigen? Pah – wir sitzen hier wie in einem
Hochsicherheitstrakt fest, weil irgendwo da draußen mein bekloppter Stiefbruder
frei rumläuft und du sagst, ich soll mich beruhigen?“, stammelte Gruber unter
Tränen. Er fühlte sich wie ein Gefangener, weil er außer innerhalb des Hauses
nirgends mehr alleine hin durfte, ohne einen der Zivilbeamten an seinem Hintern
kleben zu haben.
Okay, das mussten Raffi, der jetzt ebenfalls
aufgewacht war und Jo eingestehen, sie waren Gefangene im eigenen Haus, auch
wenn ihre Zimmertüren nicht abgesperrt waren. Auch sie sehnten sich danach
endlich wieder tun und lassen zu können, was sie wollten und woran sie Spaß
hatten, ohne dass jeder ihrer Schritte überwacht wurde.
Irgendwann schafften sie es dennoch Malte wieder zu
beruhigen und sie schliefen sogar noch einmal ein.
*****
Etwa zeitgleich - lieferte sich auf der B-210 ein, als
gestohlen gemeldeter, weißer 3er-BMW, mit Wilhelmshavener Kennzeichen, eine
wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei. Das Fahrzeug war den deutschen Behörden
kurz hinter der niederländischen Grenze aufgefallen, weil es sich einer
routinemäßigen Verkehrskontrolle, durch Flucht entzogen hatte.
*****
Raffi, Jo und Malte wollten es erst nicht glauben, als
Ragnar Lohmann irgendwann nachmittags in Laurins Zimmer trat, wo sich die drei
Jugendlichen mit Ergün und Laurin gerade den ersten Teil von Harry Potter und
die Heiligtümer des Todes auf DVD anschauten. „Jungs, ihr dürft euch ab sofort
wieder frei bewegen. Björn Henseleit wurde heute früh in einem gestohlenen Auto
aufgegriffen und in Polizeigewahrsam genommen.“
„Na klar Ragnar und Lord Voldemort ist mein
Großonkel“, haute Malte ungläubig raus. Denn wenn das wirklich stimmen sollte,
warum wurden sie erst jetzt darüber informiert?
„Dann hast du aber einen echt hässlichen Verwandten“,
hielt der 24jährige dagegen, weil ‚der – dessen Name nicht genannt werden darf‘
gerade in Großaufnahme zu sehen war. „Nein ernsthaft - Björn und zwei weitere
Personen wurden heute in einem gestohlenen PKW festgenommen. Naja er hat jetzt
eine Glatze und einen Dreitagebart, deshalb haben ihn die Kollegen nicht sofort
erkannt und dann der Umstand, dass er keine Papiere bei sich hatte und völlig
breitgekifft war. Da hat es leider etwas länger gedauert – ihn eindeutig zu
identifizieren.“
„Du versuchst uns zu erheitern – indem du uns
verkohlst. Nicht einmal ein Björn Henseleit dürfte so unglaublich dumm sein!“
Sicher, sie wussten ja schon länger, dass der fast Volljährige kein Geistesriese
ist, aber dass was sie da jetzt von Ragnar erzählt bekamen, konnten nicht
einmal Johannes, Raphael und Ergün glauben.
„Glaubt es ihm ruhig, ich hab Björn selbst vorhin bei
einer Gegenüberstellung gesehen“, erklärte der niedergeschlagen wirkende Werner
Henseleit, als er zu den Jugendlichen ins Zimmer trat.
„Tja – dumm gelaufen!“ Das war der einzige Kommentar,
den Ergün Özil von sich gab, bevor er sich aus der Runde verabschiedete, weil
er leider los musste, um pünktlich zum Dienstbeginn im Restaurant der Eltern zu
erscheinen. „Morgen und übermorgen hab ich frei Schatz, dann bleib ich auch mal
wieder über Nacht bei dir“, versprach er noch, bevor er Malte ein letztes Mal
küsste, um dann endgültig zu gehen.
*****
Nur langsam begriffen unsere drei Freunde, dass der
Spuk wirklich vorbei und Björn gefasst war. Es lief ihnen noch ein letztes Mal
eisigkalt den Rücken herunter, als der 24jährige ihnen verriet, was die Fahnder
außer einem Kilogramm Marihuana noch im Kofferraum gefunden hatten. Denn in
einem alten Seesack der Bundesmarine versteckt, war eine abgesägte Pumpgun samt
Munition passenden Kalibers sichergestellt worden.
„Oh Mann ey, der wollte euch wirklich die Birnen
wegpusten“, stellte der Halbasiate mit weit aufgerissenen Augen fest, bevor sie
sich mit Tränen füllten und seinen Blick verschleierten. Jo, Raffi und Malte
mussten mehrfach schwer schlucken und letzterer suchte Halt bei seinem
Stiefvater Werner.
„Und er zeigte nicht den geringsten Funken von Reue.
Der Hass in seinen Augen, als er mich erkannte, war wie ein Messerstich direkt
ins Herz für mich“, stammelte Henseleit leise und presste seinen Stiefsohn ganz
fest an sich. In den nächsten Minuten flossen nicht nur bei den beiden Tränen.
Denn auch Johannes und Raphael war in diesem Augenblick klar geworden, dass sie
wahrscheinlich bereits heute hätten sterben sollen.
Warum sonst hätte Björn das Risiko dieser Fahrt unter
Drogeneinfluss auf sich nehmen wollen? Warum hatte er überhaupt so viel Hass
auf sie entwickeln können? War es am Ende wirklich nur deshalb, weil sie als
Homosexuelle von der gesellschaftlichen Norm abwichen? Oder war da auch der
Neid auf ihre schulischen und sportlichen Erfolge im Spiel?
*****
„Was ist denn mit euch los – ist jemand gestorben?“,
fragte Aaron Lange als er nach dem Ende seiner heutigen Sitzung bei Laurin ins
Zimmer trat und in die immer noch roten Augen seiner Freunde blickte, die sich
gerade wieder einigermaßen beruhigt hatten. Der Sechzehnjährige hatte ja noch
keine Ahnung von dem, was seine drei Freunde vor wenigen Minuten erst erfahren
hatten.
„Nein – aber Björn Henseleit wollte Jo, Raffi und
Malte heute umbringen“, wimmerte Laurin schniefend vor sich hin.
„Heilige Scheiße Jungs, s – s – so war das jetzt nicht
gemeint“, stotterte Aaron verlegen. Er wusste zwar dass seine drei Freunde und
Schulkameraden seit kurzem unter Polizeischutz standen, aber über den Grund
dafür gab es bisher nur Gerüchte.
„Konntest du ja nich‘ wissen – komm setz‘ dich zu
mir“, bat Laurin und klopfte neben sich auf die Bettdecke. In den nächsten
Minuten erzählten Johannes, Raphael und Malte alles, was sich seit dem Tag vor
dem großen Pokalspiel ereignet hatte. Einiges davon hatte der Sechzehnjährige
ja schon mitbekommen, aber die Dinge, die im Zusammenhang mit Björn Henseleits
plötzlichem Verschwinden standen, waren für den Jugendlichen völlig neu.
„Jetzt verstehen Sie eventuell auch, warum wir davon
so wenig wie irgendwie möglich an die Öffentlichkeit haben dringen lassen“,
ergänzte Ragnar Lohmann, die Ausführungen der Jugendlichen.
„Oh ja – jetzt ist mir einiges klarer geworden. Bei
dem, was ihr alles in so kurzer Zeit durchgemacht habt, muss ich euch ja noch
dankbarer sein, dass und wie ihr mir geholfen habt“, bestätigte Aaron leise,
bevor sie sich für ein paar Minuten mit ihren Gedanken in sich zurückzogen.
„Die Post ist daaa. Danke sehr – eiskaltes Händchen!“,
unterbrach eine weibliche Stimme aus Ragnars iPhone die allgemeine Stille,
worüber besonders Johannes schmunzeln konnte. Vor drei Jahren hatten sein
Cousin und er sich die ursprünglich in den 60er Jahren produzierte schwarz/weiß
Serie ‘The Addams Family‘, die in den 90er Jahren erneut das Fernsehen und dann
auch die Kinos eroberte, während der Sommerferien auf VHS Kassetten angeschaut,
die Oliver von dessen, im November 2006, verstorbenem Vater geerbt hatte.
„Jede Wette, den Sound haste von Livi“, haute der
grünäugige Teenager trocken raus. Der Zivilbeamte hörte bloß den Namen Livi und
nestelte mit roten Ohren sein iPhone aus der Hosentasche, öffnete die SMS und
beantwortete die Frage mit einem Lächeln auf den Lippen:
„Gewonnen. Oliver lässt nachfragen, ob ihr Drei Lust
habt den heutigen Abend mit uns zu verbringen.“
„Oh, das kommt überraschend, wir heute wollten
eigentlich mit Laurin ‘nen DVD-Abend machen …“
„Ach was geht ruhig mit, Aaron ist ja hier. Die Filme
laufen uns nicht weg und wir sehen uns ja eh morgen alle wieder hier“, fuhr der
Halbasiate Malte lächelnd in die Parade und ließ keine weiteren Widerworte zu,
sodass unseren Freunden nichts anderes übrig blieb, als dieser Einladung zu
folgen und ihre neue Freiheit zu genießen.
*****
„Du Laurin, ich muss noch mal mit dir reden“, begann
Aaron, nachdem sie alleine waren, und griff die rechte Hand seines besten
Freundes. „Du bist für mich viel mehr, als nur der nette Junge von nebenan und
das weißt du auch. Ich hab lange und viel über uns nachgedacht in den letzten
Tagen und du musst mir glauben, dass ich dich wirklich lieb hab.“ Der kleine
Halbasiate wusste genau, was jetzt kommen würde, denn schließlich verstanden
sie sich auch ohne Worte. Ja sie haben sich lieb und es war total schön, als
sie vorgestern ein bisschen miteinander rumgemacht hatten. Aber irgendwie hatte
er dadurch begriffen, dass es nicht gut für ihre innige Freundschaft wäre, wenn
sie als Paar zusammenkommen.
„Aaron mir ist klar geworden, dass aus uns nie
wirklich ein richtiges Paar werden kann, wie es zum Beispiel Jo und Raffi oder
Ergün und Malte sind. Klar das wäre supertoll, wenn das ginge, aber es würde
unsere Freundschaft kaputtmachen. Wir haben uns doch auch so, und wenn wir so
wie vorgestern – Lust aufeinander bekommen – dann machen wir es eben.“ Es fiel
Laurin ganz bestimmt nicht leicht das zu sagen, aber letzten Endes waren ihm
ihre Freundschaft und die geistige Verbindung viel wichtiger.
„Genau das wollte ich auch sagen – Wort für Wort“,
hauchte der 1,87 Meter große Sechzehnjährige, seinem Freund mit bebender Stimme
entgegen, bevor er sich zu ihm runterbeugte, ihre Augen sich schlossen und ihre
Lippen sich fanden.
Ja, sie hatten sich auch so – und es fühlte sich
richtig gut an, wenn ihre Lippen und Zungen zärtlich miteinander spielten. Sie
waren sich einig und sie waren eins.
Wenn sie die körperliche Nähe des anderen und mehr
wünschten, dann bekamen sie diese auch. Für Laurin erfüllte sich durch diesen
Kompromiss ein Wunsch, den er schon länger hatte, Aaron küssen und streicheln
zu dürfen war für ihn der Himmel auf Erden. Und sobald er wieder richtig gesund
wäre, dies hatte sein Freund ihm fest versprochen, würden sie auch den nächsten
Schritt wagen und darüber freute sich der kleine Halbasiate besonders.
„Ich werde es – auch wenn ich dich noch so sehr lieb
hab, wohl niemals schaffen mich dir so hinzugeben, wie du dich mir“, hatte der
Sechzehnjährige ihm unter Tränen gestanden. Doch das war Laurin völlig egal,
für ihn zählte nur, dass sein bester Freund überhaupt dazu bereit war, mehr als
nur das Kopfkissen mit ihm zu teilen, nachdem was dieser unter Gewalteinsatz
alles durchlebt hatte.
*****
Es fühlte sich seltsam für unsere Freunde an,
einerseits war da ein Gefühl von Erleichterung, weil Björn endlich gefasst
worden war und diesmal garantiert nicht ungeschoren davonkommen wird.
Andererseits war da aber immer noch dieses beklemmende Gefühl, weil sie
wussten, dass der fast Achtzehnjährige bereit gewesen war, sie zu töten.
„Ihr könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt“,
stellte Oliver nach einer guten Stunde fest, in der sie noch einmal über alles
gesprochen hatten, „zumindest für mich hatte die Sache auch ihr Gutes“, er
ergriff die Hand seines Freundes und sah ihm verliebt in die Augen, „denn ich
habe Ragnar ja nur kennenlernen können, weil ihr Polizeischutz brauchtet.“
Damit hatte der Neunzehnjährige allerdings recht.
„Stimmt auch wieder Cousin und ich freu mich für dich
– äh euch“, bestätigte Johannes lächelnd.
„Lasst uns bitte das Thema wechseln“, bat Malte mit
einem gequälten Lächeln. Er wollte wenigstens jetzt nicht mehr darüber
nachdenken müssen. Denn solange sein Stiefbruder Björn nicht rechtskräftig
verurteilt war, würde ihn dieses Thema, auch bei sich daheim, logischerweise
noch öfter verfolgen.
„Recht hast du Malte – was haltet ihr von der Idee,
wenn wir nächstes Jahr alle zusammen den CSD in Köln besuchen?“, fragte Ragnar
in die Runde, der die drei Jugendlichen, trotz des Altersunterschiedes von acht
Jahren, mittlerweile als Freunde ansah. Schließlich war es ja Johannes Selders,
der ihn durch seine Fürsprache davon überzeugte, mit Oliver auszugehen und
dadurch geholfen hat, mit dem süßen jungen Mann an seiner rechten Seite
zusammengekommen ist.
„Die Idee ist cool – richtig cool. Davon könnten wir
doch sogar eine tolle Aktion mit unserer Mannschaft machen. Weil – das ist doch
für Schwule, Lesben und ihre Freunde oder?“, fragte Malte begeistert. Woraufhin
Jo und Raffi sofort begeistert einstigen und kurzerhand beschlossen die Idee,
bei der Kölner Schwulenparade am 07. 07. 2013 aktiv mitzulaufen, im Rahmen
ihrer Weihnachtsfeier auf den ‚Gabentisch‘ zu bringen.
„Tja – dumm gelaufen Schatzi – sie sind mit Leib und
Seele Fußballer. Die denken immer gleich in ganz anderen Dimensionen“,
unterstützte Oliver die Idee begeistert und sah sich im Geiste schon, als
Cheerleaderin verkleidet, zwischen den B-Jugendspielern des FSV auf- und
abhüpfend mitlaufen.
*****
Während die Stimmung in Sande immer ausgelassener
wurde, weil sich die innere Anspannung, der letzten Tage und Wochen durch die
Festnahme von Björn Henseleit, immer mehr löste, erreichte die Stimmung bei
Aaron und Laurin ein ganz anderes Niveau.
Es knisterte und funkte immer intensiver zwischen
ihnen. Und dies, obwohl der etwas Ältere der beiden Jungs doch eigentlich
bisher immer das gewesen war, was man salopp ausgedrückt als Hühnerflachleger
bezeichnete. Der Sex mit Männern hatte ihm bisher nichts bedeutet und war alles
andere als eine schöne Erfahrung für ihn gewesen. Jetzt waren seine Freier allerdings
auch stets wesentlich älter gewesen und so kam es nicht selten vor, dass er sie
sich regelrecht schön saufen musste und auch andere Hilfsmittel wie Poppers und
Viagra benötigte, um, wie der Volksmund sagt, seinen Mann ‚stehen‘ zu können.
Wie oft hatte er hinterher heulend wach gelegen oder sich sogar übergeben
müssen. Nein – unter Zwang wollte er nie wieder etwas tun müssen.
Mit Laurin Peters dagegen war es so völlig anders. Ihn
hatte er wegen seiner natürlichen, fröhlichen Art schon immer besonders gemocht.
Auch wenn er sich eine sexuelle Beziehung mit diesem feminin wirkenden jungen
Mann bisher niemals vorstellen konnte, hatte er sich, auch wenn Aaron es
niemals öffentlich zugeben würde, immer mehr in ihn verliebt.
„Es wird niemals einen anderen Jungen für mich geben
als dich“, versprach der Sechzehnjährige dem etwas jüngeren Freund in einer
Knutschpause, „aber ich bin nicht sicher, ob ich mich nicht irgendwann wieder
in ein Mädchen verliebe.“ Laurin nickte seinem Freund zu, dieser war nun einmal
bisexuell und so etwas wie eine Garantie, auf lebenslanges Glück miteinander,
gab es noch nicht einmal bei Heterosexuellen. Alleine in seiner Klasse, gab es
vier Scheidungswaisen unter den Mitschülern und zwei die ihren Erzeuger nicht
einmal kannten. Also warum sich darüber jetzt schon den Kopf zerbrechen, was
irgendwann einmal sein wird. Dass er für Aaron der einzige Junge bleiben
sollte, empfand er als Kompliment und dies sagte er ihm auch:
„Das hast du gerade total süß gesagt, aber lass uns
jetzt nicht mehr darüber nachdenken.“ Erneut trafen sich ihre Lippen und
Zungen, nur diesmal wollte Laurin noch etwas mehr, deshalb schickte er seine
Hände langsam auf dem, recht muskulösen, Oberkörper seines Freundes auf die Reise.
*****
„Malte – wenn du möchtest, dann kannst du trotz allem
heute Nacht bei uns bleiben“, boten Raffi und Jo dem gleichaltrigen Freund an,
als sie mitbekamen, dass er auf der Rückfahrt seltsam still und in sich gekehrt
wirkte.
„Danke“, nuschelte der Angesprochene leise und wischte
sich Tränen aus den Augen. Was war nur plötzlich los mit ihm, eigentlich müsste
er doch froh darüber sein, dass ihr Leben sich endlich wieder normalisiert.
Björn Henseleit saß hinter Schloss und Riegel und da wird er diesmal auch
garantiert so schnell nicht wieder rauskommen. Dennoch hatte die ganze Sache
besonders für den sechzehnjährigen Rotschopf und dessen Familie einen faden
Beigeschmack, der leider nicht so schnell verschwinden wird.
*****
„Was würde ich jetzt dafür geben, einmal richtig
duschen zu können. Es kommt mir so vor, als würde ich stinken – wie ein
Pandabärchen“, sinnierte der Halbasiate, während Aaron und er, so gut es mit
dem blöden Verband eben ging, unter Laurins Bettdecke miteinander kuschelten.
Durch die gebrochenen Rippen war ja seit Wochen nichts anderes als diese blöde
Katzenwäsche möglich gewesen und dies reichte dem fast Sechzehnjährigen einfach
nicht mehr aus. Er wollte endlich auch mal wieder das Gefühl haben gut zu
riechen.
„Pandabärchen? Ich würde eher sagen – wie ein ausgewachsener
Puma“, witzelte Aaron Lange und verschloss die Lippen des Halbasiaten mit einem
Kuss. Der biss ihm allerdings gespielt beleidigt in die Lippe.
„Hey – sei nich‘ so frech zu mir Aaron Lange oder soll
ich dir beim nächsten Mal was abbeißen?“, drohte der kleine Halbasiate
zwinkernd.
„Ne du – besser nich‘, schließlich brauchen wir den
noch“, nuschelte der Gefragte schmunzelnd vor sich hin, weil er eine Idee
hatte, wie sich dieses Hygieneproblem eventuell lösen ließe. Als er damals vor
vier Jahren das gebrochene Handgelenk hatte, hatte er einfach einen
Frischhaltebeutel, mit einem Gummiband, über den Gips gemacht, wenn er duschen
wollte. „Aber sag mal, habt ihr Frischhaltefolie?“
„Klar – unten in der Küche – warum?“ Aaron sprang
kurzerhand aus dem Bett, zog sich schnell was an, splitternackt wollte er dann
doch nicht unbedingt von Laurins Eltern gesehen werden und verließ das Zimmer,
in dem er einen kleinen Halbasiaten, mit riesigen Fragezeichen in den Augen,
zurückließ.
„Gleich wird geduscht“, verkündete der 1,90 Meter
große, blonde Teenager, Minuten später vollmundig und präsentierte seinem etwas
jüngeren Freund gleich zwei Rollen Frischhaltefolie, die er organisiert hatte.
Klar, Laurins Ma hatte genauso sparsam geguckt, wie er jetzt. Aber nachdem
Aaron kurz erklärt hatte, wofür die elastische Folie benötigt wird, händigte
Akemi Peters, dem blauäugigen jungen Mann, die gewünschten Haushaltsmaterialien
lächelnd aus.
„Steh mal bitte auf und nimm die Arme nach oben“,
forderte der Gymnasiast seinen Schulkameraden, ehemaligen Nachbarn und Freund
auf.
„Öhm gut – und jetzt?“, fragte der splitternackige
Halbasiate wenig später.
„Jetzt werde ich deinen Verband mit der Folie so umwickeln
– dass da garantiert kein Wasser rankommt, wenn wir gleich unter der Dusche stehen.“ Dieser Gedanke gefiel dem
Halbasiaten zusehends gut, denn kaum hatte Aaron das letzte Wort ausgesprochen,
als bei beiden besonders unterhalb der Gürtellinie neues Leben in die ‚Bude‘
kam. Anders ausgedrückt – es wurde mal wieder Blut vom Gehirn in andere ‚Regionen‘
gepumpt, die sich sichtbar darüber freuten.
*****
Im Hause Selders angekommen, hatten unsere jungen Freunde
inzwischen ein kleines Gespräch mit Johannes‘ Eltern hinter sich gebracht und
sich anschließend in das Zimmer des Teenagers zurückgezogen, wo sie sich alle
drei ein Glas Glenmorangie, der noch von Jos sechzehntem Geburtstag übrig
geblieben war, mit viel Cola gönnten.
„Wollt ihr wissen, was an der ganzen Scheiße das
Schlimmste für mich ist?“, fragte Malte seine Teamkameraden, nachdem er den
ersten Schluck genommen hatte. Keine Frage – für Raffi und Jo war längst klar,
worauf ihr Freund hinauswollte. Letzten Endes war es schließlich sein
Stiefbruder gewesen, der ihnen ihr Leben zur Hölle auf Erden machen und sie
zuletzt sogar töten wollte. „Ich kann noch so lange und intensiv darüber
nachdenken – aber ich komme einfach nicht dahinter, was der Auslöser für seine totale Veränderung gewesen sein könnte,
dass er jetzt sogar zum Äußersten bereit war. Er war früher ganz anders und ich
habe ihn wirklich gemocht“, schluchzte er unter Tränen vor sich hin. Die Nerven
des Teenagers lagen jetzt vollständig blank. Johannes und Raphael brauchten diesmal
viel Zeit und Geduld, bis sie den Gleichaltrigen Freund soweit hatten, dass er wieder
ruhiger wurde und sie sich gegen Mitternacht endlich zur Ruhe begeben konnten,
obwohl an schlafen noch lange nicht zu denken war.
*****
„Du bist ein
richtig toller Krankenpfleger“, lobte
Laurin seinen Freund, nachdem sie fast eine halbe Stunde lang gemeinsam unter
der Dusche gestanden hatten. Wo sie sich allerdings nicht ausschließlich um hygienische
Belange gekümmert hatten, obwohl der Halbasiate sich hinterher trotz des blöden
Verbandes endlich mal wieder richtig sauber
fühlte. „Das war ein soooo tolles Gefühl – als das warme Wasser so schön
runtergerieselt ist und dann wie du mich eingeseift hast und wie gut ich jetzt
dufte. Danke sehr Aaron Lange.“ Der 1,52 Meter große ‚kleine‘ Flügelflitzer
bekam sich gar nicht wieder ein, so gut fühlte er sich im Augenblick, während
Aaron ihn breit grinsend, mit einem großen Frottierhandtuch, trocken rubbelte.
„Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich Kassenpatient bin?“, brabbelte er
fröhlich weiter.
„Kassenpatient? Und das sagen Sie mir erst jetzt?“,
stieg Aaron auf dieses Spielchen des Freundes ein und ließ das Handtuch einfach
auf den Boden gleiten. „Dabei wissen Sie doch ganz genau, dass ich pro Patient,
je nach Pflegestufe höchstens 15 Minuten Zeit habe. Das kostet Sie extra!“
„Mist! Das war dann ja wohl ein blitzsauberes Eigentor,
dass ich mir da geschossen habe“, nuschelte der Halbasiate mit Blick auf Aarons
Körpermitte und musste dabei schwer Schlucken, weil noch jemand anderem, vor
lauter ‚Entrüstung‘, nicht nur der 'Kamm' geschwollen war. „Akzeptieren Sie
auch Bezahlung in Naturalien oder
darf ich meine Schulden bei Ihnen abarbeiten?“, brümmelte er weiter. „Ich hab
meine ‚Schwarze AmEx‘ (American-Express-Card) gestern versehentlich im Klo runtergespült.“
„Eigentlich dürfen wir das ja nicht. Aber weil Sie
heute der letzte Patient auf meiner Liste sind und weil Sie nach diesem
Missgeschick ja noch keine Chance hatten, zur Bank zu kommen, will ich mal
Gnade vor Recht ergehen lassen. Also bedienen Sie sich“, reagierte der
Sechzehnjährige huldvoll lächelnd.
„Ach eine Frage hab ich da noch“, zögerte Laurin die
abgesprochene Dienstleistung weiter
hinaus, „morgen zum Frühstück – wie hättest du deine Eier am liebsten?“
„Ausgeblasen“, kam es wie aus der Pistole geschossen
zurück.
„Ach klar, ich Dummerchen – dass hätte ich mir aber
auch wirklich selber denken können“, gab er kichernd zurück.
*****
Im Hause Selders war zwischenzeitlich Ruhe eingekehrt.
Um Malte abzulenken, hatten sie sich noch gemeinsam den Film ‚Sommersturm‘ auf
DVD angesehen, wobei Malte bereits nach der ersten halben Stunde mehrfach die
Augen zugefallen waren. Jetzt lag er dort völlig entspannt zwischen Jo und
Raffi im Bett, mit dem Kopf auf der Schulter, des gleichaltrigen,
flachsblonden, Teenagers und schlief, den Schlaf der Gerechten.
„Psssst – guck mal, er schläft“, lenkte Raffi den
Blick seines Freundes flüsternd auf den Rotschopf.
„Das sollten wir auch langsam, war schließlich ein
harter Tag für uns alle“, schlug der dunkelhaarige Sechzehnjährige, leise
gähnend vor. Er hätte es zwar noch lieber gehabt, in den Armen seines Freundes
einzuschlafen, aber das würden sie ja noch oft genug können. „Gute Nacht Hasi“,
wünschte er seinem Freund und warf ihm einen Luftkuss zu, den Raffi noch
erwiderte, bevor er das Licht ausmachte, die Augen schloss und sanft in das
Land der Träume hinüber sank.
*****
Auch im Hause Peters waren Aaron und Laurin
mittlerweile wieder zu kuscheln im Bett übergegangen.
„Das war total lieb von dir, ich fühl mich wie neu
geboren“, bedankte sich der Halbasiate zum gefühlten Millionstenmal bei seinem deutschen
Freund. Der hatte ihm nämlich nicht nur beim Duschen geholfen, sondern sich
auch besonders zärtlich um das halbasiatische Prinzenzepter von Laurin bemüht,
nachdem das 39 kg schwere ‚Pandabärchen‘, wie er ihn ab sofort zärtlich
nannte, ihm zuvor geholfen hatte endlich seine ‚Verhärtung‘ loszuwerden.
„Na jetzt ist aber langsam mal gut – mein süßes
Pandabärchen“, gab der Angesprochene schmunzelnd von sich, bevor sie sich
küssten. Irgendwie konnte er immer noch nicht ganz begreifen, dass aus ihrer
Freundschaft mehr geworden war. Sicher, der Sex, den er schon mit Mädchen
gehabt hatte, war nicht schlecht. Aber was Laurin da vorhin an seinem Penis
veranstaltet hatte, war etwas ganz Besonderes für ihn gewesen. Etwas – wovor
sich seine Freundinnen immer geziert hatten. Der Halbasiate hatte es so gekonnt
gemacht, dass er regelrecht Sterne gesehen hatte, die vor seinen Augen
sprühten.
Und es hatte ihm auch Freude gemacht, dem schwarzhaarigen
Teenager, dieses Gefühl zurückzugeben, obwohl er sich so etwas vorher niemals
hätte vorstellen können, Laurin Peters hatte es mit seiner ganzen Art endgültig
geschafft, dass er Aaron Lange Schwule und ihre Bedürfnisse mit völlig anderen
Augen sah, als über lange Zeit davor. Als er durch Herbert zu sexuellen
Handlungen mit Männern gezwungen wurde, empfand er dies als erniedrigend,
entwürdigend und einfach nur ekelig. Er hatte ihn mit Gewalt gebrochen und wäre
ohne die ‚erste‘ Hilfe seiner Klassenkameraden Johannes Selders und Raphael
Senner wohl endgültig daran zerbrochen.
„Schlafen?“, fragte Laurin gähnend und schenkte Aaron einen
besonders verliebten Blick.
„Ja – schlafen“, antwortete der Sechzehnjährige ebenfalls
gähnend, bevor er das Licht auslöschte und die beiden Freunde sich in den
Schlaf kuschelten.
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